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Vorbildliche Arbeitsteilung

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Wenn die Regionalbahn sich langsam dem ostbrandenburgischen Küstrin nähert, scheint man 60 Jahre zurückversetzt zu sein. Der Bahnhof Alt-Küstrin hat wohl gerade das russische Artilleriefeuer überstanden, und die zwei Wagen des Zuges fahren im Schrittempo über die Brücke über die Vor-Oder, so, als würde erst die Tragfestigkeit Meter für Meter geprüft. Mit etwas Herzklopfen erlebt man das Holpern der Räder über die Brücke, bis nach wenigen Metern der Küstriner Bahnhof erreicht ist. Pardon, natürlich verlangt die politische Korrektheit, „Kostrzyn“ zu sagen. Die Reisenden, die hier den Zug verlassen müssen, erwartet ein trostloser Bahnsteig. Es ist ein Raum zu passieren, der provisorisch durch ein paar Tische getrennt ist und in dem Bundesgrenzschutz und polnische Grenzer die Pässe kontrollieren. Interessant übrigens, daß die polnische Seite auch bei der Ausreise sämtliche Pässe in ihren Zentralcomputer einspeist, während an der Schengener Außengrenze der BGS nur ein flüchtigen Blick auf die Reisedokumente wirft. Nirgendwo ein deutsches Hinweisschild. So folgt man den wenigen Reisenden hinab die Treppe, bis man in der Vorhalle steht und endlich am Kiosk lesen kann: „Billige Zigaretten“. Hier zeigt kein Weg, wo es zum Zentrum von Küstrin geht, dafür warten um so mehr Taxis, den Unkundigen zum gewünschten Ort zu bringen. Zunächst geht es jedoch zur Tourismus-Information – vergebens. Von einem jungen Mann vom Fahrradverleih ist zu erfahren, daß die Angestellte gerade einkaufen sei. Man solle noch einmal wiederkommen, so lange könne der Einkauf ja nicht dauern. So kann der Besucher nur den Verheißungen der deutschsprachigen Reklametafeln folgen. Es sind zwei Welten, in denen Küstrin und Küstrin-Kietz – letzterer Stadtteil gehört seit 1998 zur Gemeinde Küstriner Vorland – leben. Auf der östlichen Seite der Oder sind die Konsumtempel und Lustgärten wie Pilze aus dem Boden geschossen, auf der westlichen Seite eine absterbende Region, gerade einmal 3.000 Einwohner zählt die Gemeinde, zu der neben Küstrin-Kietz noch die Ortsteile Gorgast und Manschnow gehören. Während kürzlich an der Zufahrtsstraße zur Oderbrücke, von zerfallenen Kasernen gesäumt, das von der Bevölkerung als Symbol des Aufschwungs so heiß ersehnte blaue Schild mit den zwölf Sternen und der Aufschrift „Polen 1 km“ errichtet wurde, teilten ihnen die Politiker schon freudig mit, daß es ihnen zu gut gehe und sie deshalb mit einer Kürzung der Fördermittel als sogenanntes Ziel-1-Gebiet rechnen müssen. Zum Ausgleich und zur Beruhigung der Bürger auch hier in Märkisch-Oderland hat die politische Klasse dafür eine weitere Erhöhung der Finanzmittel für den EU-Topf in Aussicht gestellt. So verkündet dieses Schild im übertragenen Sinne, gleich wird’s besser. Und beim Rückweg, wenn unsere Küstriner also wieder über die Brücke zurückkehren, prangt nun auch in Küstrin-Kietz ein überdimensionales Schild mit dem „D“. Die toten Fenster der Kasernen rufen dem Küstriner zu: Du bist wieder zu Hause, in Deutschland! Während nicht nur die sogenannten Nullrunden das Leben in Deutschland unwirtlicher werden lassen, haben wenigstens die Küstriner am Westufer die gute Möglichkeit, über die Oder zu fahren und sich dort die ihnen einst versprochenen blühenden Landschaften anzusehen, die selbstverständlich zum großen Teil von Deutschland bezahlt werden. Allein für die Förderung von Unternehmen und Investitionen stehen dem polnischen Haushalt für die Zeit zwischen Mai 2004 und Ende 2006 12,5 Milliarden Euro aus Brüssel zur Verfügung. Und bis jetzt wird dieser Topf arbeitsteilig von uns gut gefüllt und von den Polen voll ausgeschöpft. Vor allem die Landwirtschaft jenseits der Oder prosperiert, die Exportsteigerungen sind explosionsartig. Während vor einem Jahr noch aus Anlaß der Grünen Woche der damalige Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) – der Volksmund nannte ihn zuweilen auch den deutschen Polenfunk – lang und breit zusätzlichen deutschen Fördermitteln für die polnischen Landwirte zur Abfederung des EU-Beitritts das Wort redete, gibt selbst der postkommunistische polnische Agrarminister Wojciech Olejniczak heute zu, daß „die EU-Agrarsubventionen funktionieren“. Nach dem 1. Mai 2004 stieg der Export von Zucker aus Polen gegenüber 2003 um das Zwanzigfache, bei Butter um das Siebenfache, und bei Geflügelfleisch betrug die Steigerung siebzig Prozent. Insgesamt sind die polnischen Ausfuhren auf 59,7 Milliarden Euro gestiegen, was einen Schub von 25,6 Prozent gegenüber 2003 bedeutet. Gegenwärtig positionieren sich die polnischen Politiker für die Wahlen im Herbst (25. September), die mit dem EU-Verfassungsreferendum verbunden werden. So attackiert der chancenreiche Oppositionspolitiker Jan Rokita von der Bürgerplattform (PO), bekannt geworden durch seine Losung „Nizza oder Tod“, bereits Deutschland wegen dessen „sehr egoistischer Haltung“ in Blick auf die Diskussion um die den deutschen Markt überflutenden Scheinselbständigen aus Polen und das Steuerdumping der Beitrittsstaaten. Sein PO-Parteifreund und Europaabgeordnete Jacek Saryusz-Wolski hat schon die Losung ausgegeben, daß Polen gegenüber den Nettozahlländern wie Deutschland nicht klein beigeben dürfe, und selbst der noch amtierende Ministerpräsident Marek Belka ließ die Nachbarn im Westen wissen: „Je länger polnischen Arbeitern der Weg in den Westen erschwert wird, um so mehr industrielle Arbeitsplätze werden aus den westlichen Ländern in die neuen EU-Länder verlegt werden.“ Es versteht sich, daß er im gleichen Atemzug der Erhöhung des EU-Haushaltes das Wort redet, „weil es dabei für Polen um Milliarden geht“. Hier zeigt sich wieder einmal, wie erfahren polnische Politiker im Besetzen von Themen und Räumen sind. Von Rest-Küstrin haben die Polen jedenfalls nicht zu befürchten, von hier kann keine Konkurrenz mehr ausgehen. Man hat das Gebiet um Bahnhof Alt-Küstrin unter Landschaftsschutz gestellt, eingezäunt und das Betreten und Befahren verboten. Schade nur, daß die Küstriner sich nicht so recht dankbar gegenüber ihren Politikern zeigen. Man kann gut beobachten, wie sie dem blanken Hans beim Tanken und beim Zigarettenkauf eine lange Nase zeigen. Doch wie soll dann der Hans seine Verpflichtungen gegenüber den Finanztöpfen in Brüssel und den Begehrlichkeiten in Warschau erfüllen? Foto: Regionalbahn auf der Oderbrücke bei Küstrin: Für Polen geht es um Milliarden Euro aus Brüssel

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