Bertolucci: Nicht nur via Klangfarbe steht der Name dieses Regisseurs für ein Kino mit schwelgerischen Bildern, für malerische Opulenz, erotische Laszivität. Mit nicht weniger als neun Oscars war dereinst Bernardo Bertoluccis „Der letzte Kaiser“ (1987) ausgezeichnet worden, und auch „Little Buddha“ und „Gefühl und Verführung“ waren in den Neunzigern mehr als bloße Achtungserfolge. Der Name des Regisseurs aus Parma – nebenbei Marxist wie sein Freund und Mentor Pasolini – galt seither als Garant für anspruchsvolles, bilderwütiges Kino. Über die Gründe, die nun dazu geführt haben, mit der transkontinentalen Liebesgeschichte „Shandurai und der Klavierspieler“ eine Produktion aus dem Jahre 1998 auf die große Leinwand zu bringen, darf gerätselt werden. Der Film fußt auf der Novelle „The Besieged“ (dt. Die Belagerung) des britischen Schriftstellers John Lasdun: Shandurais Mann ist Lehrer in einer afrikanischen Dorfschule. Die einzige Szene im Film, die ihn zeigt, vermag ihn in ein eindrückliches Licht zu rücken: Wer, fragt der engagierte Pädagoge seine Schülerschar, kann mir den Unterschied zwischen einem „Boss“ und einem „Leader“ erklären? Gerade als er mit breiten Schultern und tumber Mine den „Boss“ imitiert, fliegt die Tür des Klassenzimmers auf, uniformierte Schergen drängen den Lehrer aus dem Raum, er verschwindet als politischer Häftling im gesetzlosen Nirgendwo eines afrikanischen Knastes. Seine trauernde Frau, die schöne Shandurai (gespielt von der Halbeuropäerin Thandie Newton) kann das Land verlassen und nimmt ein Medizinstudium in Rom auf. Dort lebt sie in einem Palazzo des reichen Erben und Klavierspielers Kinsky (David Thewlis). Der nichtsnutzige Hagestolz und Nebenbei-Komponist beschäftigt die Afrikanerin als Putzfrau in diesem pittoresk verfallenen Prunkbau und verliebt sich bald in die fleißige, anmutige Frau. Gänzlich unerfahren in Herzensangelegenheiten, umwirbt er die Angebetete mit Geschenken und bald mit einer ungestümen Liebeserklärung – er wolle alles, alles für sie tun. Energisch weist Shandurai sein Ansinnen zurück, behält dabei aber sein Versprechen ein: Ihren Mann aus dem Gefängnis befreien, das sei alles, was er für sie tun könne. Erst nach Monaten eines distanzierten Verhältnisses zwischen den beiden merkt die junge Frau, daß sich die Wohnung des Hausherrn an Inventar zu leeren beginnt, daß immer weniger Putten und Statuetten abzustauben sind, und schließlich findet sie im Papierkorb Post aus Afrika. Doch erst als selbst der kostbare Flügel des enthusiastischen Klavierspielers einem billigen Fernsehgerät weicht, ahnt sie, wie weit Kinskys Liebe geht… Es gibt manches, was diesem Beinahe-Kammerspiel zugute zu halten ist: Die geglückte, nur selten langatmig wirkende Unterordnung der sparsamen Dialoge unter die Ausdruckskraft des Sichtbaren ist das eine, auch die afrikanischen Bilder glücken durch beeindruckende Inszenierung. Der große Rest aber enttäuscht, gerade weil Bertolucci die Macht der visuellen Kommunikation überspannt: Das markante, permanente Setzen von szenischen Ausrufezeichen, all die trivialen Bildgleichnisse kommen einer Zuschauerbeleidigung nahe, etwa: Der Wind wirbelt Kinskys Noten vom Tisch. Greifbare Bedeutung: Unruhe kommt in sein Leben. Oder: Shandurai schüttelt verständnislos den Kopf über Kinskys klassische Übungen. Bald werden die Kompositionen spielerischer, jazziger – Shandurai tanzt und summt. Heißt: Kinsky beginnt sie -vielmehr natürlich: ihre Seele – zu verstehen. Und wo die Afrikanerin kübelweise auf den Bürgersteig erbricht, fehlt Bertolucci auch hier die Subtilität, den Kummer der Frau in der Andeutung verstehbar zu machen. Auf die ebenfalls reichlich abgedroschene Bildersprache eines gleich dutzendfach zerknüllten Briefentwurfs folgt ein merkwürdiges Filmende – diesen Streifen hätte Bertolucci gerne ruhen lassen dürfen im vergangenen Jahrtausend, dem er entstammt. Foto: Shandurai (Thandie Newton): Die Afrikanerin kämpft um die Freilassung ihres Mannes aus dem Gefängnis