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Kater Mutzeputz lehrte ihn Brüderlichkeit

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Kater Mutzeputz lehrte ihn Brüderlichkeit

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Cato, Weidel, Exklusiv

Tiere haben ihre Komik und ihre Tragik wie wir. Sie sind voller Ähnlichkeit und Wechselbeziehung. Die Menschen glauben meist, zwischen ihnen und den Tieren sei ein Abgrund. Es ist nur eine Stufe im Rade des Lebens. Denn alle sind wir Kinder einer Einheit. Um die Natur zu erkennen, muß man ihre Geschöpfe verstehen. Um ein Geschöpf zu verstehen, muß man in ihm den Bruder sehn.“ Solche Gedanken sind uns heute, in moderner Begrifflichkeit, in religiösem wie in philosophisch-esoterischem Kontext durchaus vertraut. Allerdings kennen wir das Wissen um die Geschwisterlichkeit alles Lebendigen weniger vom kirchlich verfaßten Christentum. Solche Anschauungen werden eher in Gruppierungen am Rande oder außerhalb der Großkirchen vertreten. Vertrauter ist diese Haltung zu den Mitgeschöpfen in den östlichen Religionen, besonders in Hinduismus wie Buddhismus. Das wiedergegebene Zitat freilich stammt aus dem christlichen Umkreis und bereits aus dem Jahre 1912. Manfred Kyber leitete damit sein Buch „Unter Tieren“ ein, in Berlin erschienen. Diese erste Sammlung von Tiergeschichten besonderer Art sollte ihn noch im Wilhelminischen Zeitalter weiten Kreisen bekannt werden lassen. Wenn heute der Name Kybers noch genannt wird, so erinnert man sich meist seiner heiteren bis ironischen, doch stets hintergründigen Tiergeschichten. Sie handeln von so unverwechselbaren „Persönlichkeiten“ wie Jeremias Kugelkopf, dem Spatzen-Ehepaar Lups, vom Rabenvater Jakob Krakel-Kakel oder vom Kaninchen-Patriarchen Onkel Nuckel. Früh entwickelte er eine ganzheitliche Weltsicht Dem Deutschbalten Manfred Kyber (1880-1933) ging es vorrangig nicht darum, nur unterhaltsame Geschichten zu schreiben. Geboren in Riga und aufgewachsen auf einem idyllischen Gutshof im alten Livland (heute Lettland) bei Ligat, war er von Kind auf mit der Natur und besonders den Tieren vertraut. Nicht zuletzt dank seiner Katzen Mutzeputz und Magister Mützchen entwickelte Kyber sehr bald eine ganzheitliche Schau des Lebens, eine ethisch begründete Dichtung. In seinen Werken spielt die Selbstverantwortung des Menschen vor dem Schöpfungsziel eine geradezu „aufklärerische“ Rolle. So war Manfred Kyber einer der wenigen Literaten, die sich – geprägt von einer spirituellen wie ethischen Grundhaltung – auch der praktischen Tierschutzarbeit widmeten. So wirkte er in seiner Berliner Zeit (1902 bis 1918) im Vorstand des dortigen Tierschutzvereins mit. Seine daraus gewonnenen Erfahrungen, aber auch die wache Beobachtung des Zeitgeschehens mündeten 1925 in dem schonungslosen Sachbuch „Tierschutz und Kultur“ (noch heute in einer überarbeiteten Ausgabe vom Artha-Verlag lieferbar), das ihm mächtige Gegner wie neue Freunde eintrug. Kurz vorher, noch in Stuttgart lebend, zeigte er mit seinen Okkultismus-Vorträgen eine andere Seite seines umfassenden Wissens. Die Buchausgabe dieser Vorträge erschien 1923 unter dem langen Titel „Einführung in das Gesamtgebiet des Okkultismus vom Altertum bis zur Gegenwart“. Prägend für Manfred Kybers esoterische Weltsicht war nach seiner naturnahen Kindheit und Jugend im Baltikum die spätere Begegnung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners und die persönliche Bekanntschaft mit ihm. Gleichwohl scheint in Manfred Kybers Lebenswerk stets ein eigener Ton auf, zuweilen von östlicher Weisheit gefärbt wie in der wundervollen Erzählung „Der Königsgaukler“ aus dem Jahre 1921 (heute noch lieferbar vom Drei-Eichen-Verlag). In ihr wie in seinen Märchen zeigt sich Kybers sensible und doch wieder verstandesklare Schau der menschlichen Evolution, die nur weiterführen kann in der Brüderlichkeit mit allem Lebendigen, einer gelebten Ethik. Kybers spätere Dichtung atmet franziskanischen Geist (in seiner Stuttgarter Zeit sollte er bei der Union Verlagsgesellschaft auch die Franziskus-Legenden herausgeben). Eine moderne Franziskus-Gestalt mit ihrem tatchristlichen Wirken gestaltet er zum Beispiel in seiner Erzählung „Das Land der Verheißung“, einer der heute wieder aufgelegten Texte. Ein einziges Buch von ihm enthält eine Widmung: Die 1918 in Berlin erschienene Sammlung seiner dort während des Ersten Weltkriegs geschriebenen Gedichte „Genius Astri“ ist „Dr. Rudolf Steiner“ gewidmet. Dies geschah nicht ohne Rücksprache mit Steiner, denn in einigen Briefen legte er ihm nach und nach die gedruckten Texte vor. Offenbar hat Manfred Kyber erstmals in Berlin Rudolf Steiner gehört. Dies muß sehr früh gewesen sein, denn in Kybers Besitz befanden sich zwei maschinengeschriebene Vortragszyklen aus dem Jahr 1908, also noch aus Steiners theosophischer Zeit. Zumindest während des Weltkriegs erfolgte zusammen mit seiner Frau Elisabeth, einer geborenen Bolto von Hohenbach und ebenfalls für spirituelle wie lebensreformerische Gedanken höchst empfänglich, mindestens eine persönliche Begegnung mit dem Ehepaar Steiner. Einige Gedicht aus „Genius Astri“ könnte man als „gereimte Anthroposophie“ bezeichnen. Eigene Wege ging er im Verständnis für Tiere Das Ehepaar Kyber trat 1913 (Elisabeth) bzw. 1914 der Anthroposophischen Gesellschaft bei, und nach Angaben aus dem Archiv des Goetheanums sollen sie das geblieben sein, ein Austritt wurde jedenfalls nicht bekannt. Elisabeth Kyber berichtete noch im hohen Alter – sie starb 1984 -, daß sie in Berlin „persönliche Schülerin“ von Steiner gewesen sei. In den Stuttgarter Jahren (1919 bis Spätsommer 1923) schrieb Kyber auch Beiträge für die Waldorf-Nachrichten. In diesen für Kyber gesundheitlich wie wirtschaftlich schwierigen Jahren klagte er in einem langen Brief an Rudolf Steiner über die „Stuttgarter Verhältnisse“, besonders in der Dreigliederungsbewegung. Kybers Aussagen decken sich mit denen von Walter Kühne, dem ersten Leiter des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus, wie dieser sie in seiner Erinnerungsschrift „Die Stuttgarter Verhältnisse“ im Verlag Freies Geistesleben veröffentlichte. Manfred Kyber ließ allerdings in Briefen wie in seinen Büchern immer wieder durchblicken, daß er sich mehr an der Peripherie der Anthroposophischen Gesellschaft wirkend verstand, und er betonte eigene Standpunkte. So finden sich in einem seiner Okkultismus-Vorträge bei aller Anerkennung für Steiners Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ doch auch vorsichtige kritische Anmerkungen. Eigene Wege ging Kyber in seinem Verständnis für Tiere, in seinem aktiven Tierschutz, auch in seiner Hinneigung zu östlichem Denken – 1921 erschien mit „Der Königsgaukler“ ein „Indisches Märchen“, in seiner letzten Sammlung von Gedichten finden wir ein langes mit dem Titel „Tibet“, erstmals veröffentlicht 1922 oder 1924. Einige Werke gehören zum Kanon deutscher Literatur Die letzten knapp zehn Jahre lebte Kyber in anfangs materiell sehr bedrängten Verhältnissen in dem Bergstädtchen Löwenstein bei Heilbronn. In dieser Zeit erschienen eine Reihe von Alterswerken, darunter der Roman „Die drei Lichter der Veronika“. Kyber starb am 10. März 193. Sein Grab auf dem Waldfriedhof wird noch heute von der Stadt Löwenstein gepflegt, und die Grundschule trägt seinen Namen. Manfred Kyber hinterließ mit Gedichten, Erzählungen, Tiergeschichten, Märchen, dramatischen Arbeiten, Theaterkritiken, einigen Vorträgen und Sachbüchern ein inhaltlich reiches Werk. Es ist heute noch erstaunlich aktuell und wert, wieder in seiner Gänze neu entdeckt zu werden. Einige seiner Werke gehörten sogar zum Kanon der deutschen Literatur. Der auch in Lettland lebende deutschbaltische Antiquar und Verleger Harro von Hirschheydt ließ in den letzten Jahren eine Reihe von Tiergeschichten und Märchen ins Lettische übersetzen. Rowohlt gab 2003 Kybers gesammelte Tiergeschichten unter dem Titel „Das patentierte Krokodil“ als Taschenbuch heraus. In älteren Anthologien finden sich immer wieder seine Tiergeschichten, so auch in einer von dem bekannten Journalisten und Mäzen Heinz Sielmann herausgegebenen Anthologie. Einzelne davon werden heute gern rezitiert (Walter Schauss), finden sich auf Tonträgern, zuletzt auf einer CD von Helger Pflug und in einer Anthologie des Stuttgarter Verlags Das Beste. So gilt es, Leben und Werk dieses erstaunlich modernen Deutschbalten breiteren Kreisen zu erschließen. Dazu wurde 2002 in Stuttgart die Manfred-Kyber-Gesellschaft begründet. Mit Lesungen, Vorträgen und Veröffentlichungen will sie das Gedenken an diese Dichterpersönlichkeit lebendig halten und weitervermitteln. Peter Götz ist Vorsitzender der Manfred-Kyber-Gesellschaft e.V., Giebelstraße 55, 70499 Stuttgart, Tel./Fax: 07 11 / 8 06 04 22. Vom 22. bis 24. Juli findet in der Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein eine Tagung anläßlich des 125. Geburtstages von Manfred Kyber statt. Nähere Auskünfte bei Peter Götz. Manfred Kyber (1880-1933), Foto von 1923: Erstaunlich modern

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