Die Übernahme der Fernsehgruppe ProSiebenSat.1 durch die Axel Springer AG scheint perfekt. Die Experten sind sich ziemlich einig, daß das Kartellamt den Deal genehmigen wird. In manchen Zeitungen ist von einem „triumphalen Sieg“ der Springer-Mehrheitseignerin Friede Springer die Rede. Sie habe die Vision ihres verstorbenen Mannes, des legendären Verlegers und Schöpfers der Bild-Zeitung Axel Springer (1911-1985), von einem integrierten Medienkonzern auf gloriose Weise verwirklicht. Andere Beobachter, so Oliver Gehrs im Medium Magazin, sprechen lieber von einem Triumph für Haim Saban, den bisherigen Besitzer von ProSiebenSat.1, dem der Verkauf zweieinhalb Milliarden Euro einbringt, obwohl die Sendegruppe nach übereinstimmendem Urteil der Analysten nicht mehr als anderthalb Milliarden wert ist. Saban selbst hatte das Unternehmen vor genau zwei Jahren mit Hilfe undurchschaubarer Finanzmanöver aus der Konkursmasse des Kirch-Imperiums für den „Schnäppchenpreis“ (FAZ) von 525 Millionen erworben und darf jetzt runde zwei Milliarden Euro als Reingewinn auf seinem Konto verbuchen. Außerdem soll er nicht nur Minderheitseigner bei Springer werden, sondern auch Vorsitzender eines „TV-Beirats“ im Konzern, welcher die großen strategischen Linien in der Geschäfts- und Personalpolitik von ProSiebenSat.1 vorgeben soll. Ein solcher Beirat ist im Aktienrecht nicht vorgesehen, er wurde eigens für Saban geschaffen und macht diesen künftig zu einem einflußreichen Strategen im Hause Springer. Saban hat – in einem bemerkenswerten Interview mit der New York Times – bereits kundgetan, daß er sein Engagement auf dem deutschen Medienmarkt keineswegs ausschließlich wirtschaftlich verstehe, daß er es vielmehr massiv für politische Einflußnahmen zu nutzen gedenke, und zwar zugunsten seines Heimatlandes Israel und zugunsten der USA. Die „Geschichte Deutschlands“ und dessen „besondere Beziehungen zu Israel“ böten gute Bedingungen für derlei Einflußnahmen. Friede Springer (62), die bisherige und künftige Mehrheitseignerin (55 Prozent des Gesamtkapitals) hat für das ProSiebenSat.1-Geschäft insgesamt 4,15 Milliarden Euro mobilisieren müssen, was nur durch Kreditaufnahmen von etwa drei Milliarden möglich war. Ihr Schuldenkonto stieg beträchtlich, und im selben Maße schwand ihre wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit. Da sie kinderlos ist und auch nicht gewillt, ihr Erbe in Hinblick auf verwandtschaftliche Bande zu regeln, ist damit zu rechnen, daß die Kontur der Springer AG als noch halbwegs familienbestimmtes Unternehmen nun bald vollständig verblassen wird und von Axel Springer nur noch der Name übrigbleibt. Axel Springer, dessen zwanzigster Todestag im kommenden September begangen werden wird, hatte sich zu Lebzeiten entschieden für eine „Versöhnung“ mit Israel und für die Anerkennung von dessen Lebensrecht als Staat und Nation an historischem Ort engagiert. Unter Friede Springer ist aus diesem Engagement inzwischen eine Art Dauerkotau vor den jeweils aktuellen politischen Interessen Israels und der USA geworden. Den Mitarbeitern im Hause Springer ist es per Statut verboten, kritisch über Israel und die USA zu berichten, und als Doktrin gilt mittlerweile, daß es nie und nimmer eine Versöhnung geben könne, immer nur Kotau bis ans Ende aller Tage. Die neuesten Entwicklungen um ProSiebenSat.1 legen die Perspektive nahe, daß diese Strategie, die manchmal fälschlicherweise als „eigentliches Erbe“ Axel Springers bezeichnet wird, nunmehr so zügig wie möglich institutionell verankert werden soll. Amerikanische und israelische Finanzkräfte werden ihre Macht im Konzern ausdehnen und dauerhaft etablieren, die Besitzverhältnisse tiefgreifend verändernd. Aus dem größten deutschen Medienhaus würde dann (und wird wohl auch) ein im wesentlichen amerikanisch-israelisches Unternehmen, mit vielerlei personellen, politischen und kulturellen Konsequenzen. Die Berufung Haim Sabans als „Beirat“ ist ein Vorspiel dazu. Medienkonzerne sind freilich etwas anderes als Chemie- oder Lebensmittelkonzerne. Sie bedienen nicht nur individuelle Konsumentenwünsche, sondern auch und nicht zuletzt gesellschaftliche und nationale, also eminent politische, Interessen. Man darf nicht nur, man muß darüber debattieren – und letztlich politisch darüber befinden. Was bisher von seiten der Politik, insbesondere von Rot-Grün und von den Gewerkschaften, zur Affäre Springer-ProSiebenSat.1 verlautbart wurde, war sozusagen keinen Pfifferling wert. Man redete fleißig am eigentlichen Problem vorbei, kochte hier und da ein bißchen die alten Anti-Springer-Phrasen aus 68er Zeiten wieder auf und unkte diffus darüber, daß es zu „Einschränkungen der Meinungsvielfalt“ und zu „Niveausenkungen“ kommen könnte. Als ob Niveausenkung und Einschränkung der Meinungsvielfalt via political correctness spezielle Probleme des Hauses Springer seien! Als ob es in Sachen Niveausenkung und PC nicht längst eine große Koalition gäbe, die von Kanzler Schröder bis zu Friede Springer, von Fritz Pleitgen (WDR) bis zu Kai Dieckmann (Bild) reicht! Die gegenwärtige Misere mit der derzeitigen Springer-Spitze liegt nicht darin, daß sie zu sehr aus dem linken medialen Mainstream herausfällt, sondern daß sie sich völlig in diesen integriert hat. Zu Axel Springers Lebzeiten gab es in seinem Hause noch wahrnehmbare, oft ausdrücklich mit ihm verbündete Kräfte, die der „schweigenden Mehrheit“ eine Stimme gaben, gravierende politische und geistige Alternativen sichtbar machten und zu leidenschaftlichen Diskussionen anregten. Davon ist faktisch nichts übriggeblieben. Jene „problematische Meinungsführerschaft“, die heute der Bild-Zeitung von der Konkurrenz gelegentlich vorgeworfen wird, besteht aus nichts als aus leerem, folgenlosem Herumgemosere, das schon am nächsten Tag und mit der nächsten Ausgabe wieder vergessen ist. Springers durch die Übernahme von ProSiebenSat.1 vollzogener Schritt vom traditionellen Pressehaus zum integrierten Medienkonzern wird an der Misere nichts ändern, im Gegenteil, er kann sie nur vertiefen, wie ein einziger Blick ins Programm-Angebot von ProSiebenSat.1 lehrt. Die pompös ausgerufene „digitale Zukunft“ mit Hunderten von Programmen erweist sich als Augentäuschung. Es ist immer derselbe, jetzt also extra von Haim Saban abgesegnete, Käse, ob dieser nun in Dutzende oder gar in Hunderte von Einzelstücken zerlegt wird. Interessant an der neuen Konstellation wird einzig sein, woher und wohin die Finanzströme fließen, welche das alles in Gang halten, wer absahnt und wer am Ende über den Tisch gezogen wird. Ein Wirtschaftskrimi im Grunde, mit hoffentlich nicht allzu schlimmen politischen Begleiterscheinungen. Mit Axel Springer selig hat dergleichen nichts mehr zu tun. Foto: Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner (l.), Haim Saban: Dauerkotau vor den jeweils aktuellen Interessen Israels und der USA
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