Der Kinderfilm ist ein Genre für sich. Dies verdient betont zu werden im Zeitalter der All-age-Movies, jener Filme also, die mit dem Anspruch antreten, altersübergreifend beim Publikum zu landen. „Findet Nemo“ oder „Ice Age“ waren in den vergangenen Jahren nur zwei qualitativ gerade annehmbare Beispiele für Kinowerke, die trotz ihrer kindlichen Bilderwelt den Weg auch in die Videoregale von Spätdreißigern fanden. Was an diesen Kassenschlagern als zielgruppensprengende Vielschichtigkeit gerühmt wurde, könnte man freilich auch als gesellschaftlich symptomatische Unentschiedenheit deuten: Hier begegnet, als generationenüberspannendes Menschheits- und Freizeiterlebnis gewissermaßen, das Herz des dauerjugendlichen Längsterwachsenen dem Geist des coolen Kindergartengängers. Dies dürfte mehr als ein Phänomen der Kinowelt sein, es reiht sich ein in die Vielzahl altersübergreifender Modetorheiten wie der ästhetische Fauxpas einer Baseballkappe oder jenes seit Jahr und Tag populäre werbebedruckte Schlüsselband, das sowohl Kleinkinder als auch Rentner so beabsichtigt lässig wie eigentlich peinlich aus Hosen- und Jackentaschen baumeln lassen. Wirklich gute Kinderfilme sind rar. Als derartige Kostbarkeit ist demnach die „Flußfahrt mit Huhn“ aus der Feder von Arend Agthe kaum hoch genug zu achten. Die aufregende Verfolgungsjagd auf und entlang der Weser zählt zu den erfolgreichsten Kinderfilmen aus bundesdeutscher Produktion, in den achtziger Jahren wurde sie von über einer Million Kindern gesehen. Mit neuen Kopien startet diese Woche das Original wieder in deutschen Kinos – ein zahlreiches Publikum sei ihm von Herzen gegönnt. Johanna (Julia Martinek) soll einen Teil der Sommerferien bei ihrem elfjährigen Cousin Robert (schön draufgängerisch: David Hoppe) verbringen, da die Eltern der beiden einen kurzen Urlaub ohne Kinder planen. Opa Ewald (Hans Beerhenke) soll die beiden Enkel währenddessen beaufsichtigen. Der Knabe aber läßt die kleine Cousine links liegen, doch die findet heraus, daß Robert mit seinen Freunden ein geheimnisvolles Abenteuer plant: Die Jungs möchten mit Opas altem Ruderboot weserabwärts bis zur Nordsee fahren, um über diese neu zu entdeckende „Nord-Ost Passage“ die Weltmeere zu erkunden. Eher notgedrungen – man wittert Verrat! – wird Johanna in den Geheimbund aufgenommen, und eines Nachts klauen die Verschwörer den alten Kahn „Rosa Nord“ sowie ein Huhn des Großvaters und legen ab. Bald ist ihnen jedoch Opa Ewald auf den Fersen – ihn abzuhängen, gilt das Bemühen der Kinder. Geschickt, mutig und ein wenig gemein agieren die vier Kleinen, doch auch der rüstige Rentner läßt sich nicht lumpen, muß manche Strecke schwimmend zurücklegen, seilt sich mal überraschend von einer Brücke ab und weiß ein Bundeswehrmanöver für sich zu nutzen. Erschwerend für ihn kommt hinzu, daß er das Verschwinden der Kinder regelmäßig telefonisch vor deren Eltern vertuschen muß. Schließlich geraten die Kinder in eine ernsthafte Klemme. Als sie von einem Unhold in einer alten Fabrikanlage gefangengesetzt werden, erhoffen sie nichts sehnlicher als den Beistand des fährtensicheren Großvaters – doch ausgerechnet jetzt bleibt der sorgende Verfolger aus … Arend Agthe, der nun mit seiner Frau Monika auch das Buch zum Film verfaßt hat, hatte in seiner Jugend gemeinsam mit F. K. Waechter und Robert Gernhardt diverse Kurzfilme produziert, bevor er in den Siebzigern beim Satiremagazin Pardon mitarbeitete und später für die „Sesamstraße“ tätig war. Mit der „Flußfahrt“ ist ihm 1983 ein begeisterndes Glanzstück gelungen – gut, daß es nun wieder, und eben nicht als modisch-anbiederndes Remake, zu sehen ist. Den Anstoß zur Geschichte des Films, sagt Agthe, habe seine eigene Begeisterung für Abenteuergeschichten gegeben: „Die Bücher von Melville, Stevenson und Jack London habe ich als Kind verschlungen, und ich habe darunter gelitten, daß meine eigene Umwelt so wenig Anhaltspunkte für Abenteuer und Spannung geboten hat.“ Abenteuerlust, Forscherdrang, Wagemut und Poesie verbinden sich unnachahmlich in der „Flußfahrt mit Huhn“: ohne Abstriche ein ganz großartiger Film für kleine Leute ab sechs Jahren. Foto: Johanna (Julia Martinek), Harald (Uwe Müller) und Robert (David Hoppe): Den Opa immer im Blick
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