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Von Mähren nach Thüringen

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Der Lyriker und Tagebuchschreiber Hanns Cibulka, geboren am 20. September 1920 im mährischen Jägerndorf an der Oppa, das bis 1918 zum österreichischen Kronland Schlesien gehörte, ist am 20. Juni in Gotha gestorben. Er war noch Soldat im Zweiten Weltkrieg, geriet auf Sizilien in amerikanische Gefangenschaft, danach studierte er und legte das Bibliothekarsexamen ab, von 1953 bis 1985 war er Direktor der Heinrich-Heine-Bibliothek im thüringischen Gotha. Einem kleinen Kreis von Eingeweihten war er schon vor dem Mauerbau bekannt geworden, als der niederländische Lyriker und Literaturkritiker Ad den Besten 1960 im Münchner Hanser-Verlag die Anthologie „Deutsche Lyrik auf der anderen Seite“ veröffentlichte, um dem Vorurteil zu begegnen, jenseits der innerdeutschen Grenze würde nur „Klassenkampflyrik“ geschrieben. In diesem Band waren Gedichte aus den Sammlungen „Märzlicht“ (1954) und „Zwei Silben“ (1959) aufgenommen worden. Später folgten dann die Lyrikbände „Arioso“ (1962), „Windrose“ (1968), „Lichtschwalben“ (1973), „Lebensbaum“ (1977) und „Der Rebstock“ (1980). Hanns Cibulkas erste Reisetagebücher wie „Sizilianisches Tagebuch“ (1960) und „Umbrische Tage“ (1963) standen noch im Zeichen der Auseinandersetzung mit den Kriegserlebnissen in Italien. Später folgten die Bände „Sanddornzeit“ (1971) und die vom Leipziger Reclam-Verlag in einem Band vereinten „Thüringischen Tagebücher“ (1993) mit den Einzelbänden „Dornburger Blätter. Briefe und Aufzeichnungen“ (1972), „Liebeserklärung in K. Tagebuchaufzeichnungen“ (1974) und „Wegscheide. Tagebucherzählung“ (1988). Thüringen, so scheint es, wurde für Hanns Cibulka zur mährischen Ersatzheimat, er ist viel gewandert, vor allem auf Goethes Spuren, und er besaß eine Hütte im Thüringer Wald. Die politische Stille, in der er lebte und wirkte, wurde jäh unterbrochen, als er 1982 das Buch „Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Flemming“ veröffentlichte, das auf der Ostseeinsel Rügen entstanden war und kritische Bemerkungen zur Umweltverschmutzung im SED-Staat enthielt. Mit ungewohnter Schärfe wurde er damals von Klaus Höpcke, dem stellvertretenden Minister für Kultur, in der Literaturzeitschrift Sinn und Form angegriffen. Auch die Staatssicherheit begann gegen ihn zu ermitteln und leitete unter dem Titel „Swantow“ eine „operative Personenkontrolle“ gegen den Lyriker ein, unter dem Decknamen „Richard“ wurde ein „inoffizieller Mitarbeiter in besonderem Einsatz“ aktiviert, der auch andere Autoren wie Volker Braun und Günter de Bruyn „bearbeitete“. Um so verwunderlicher ist es, daß Klaus Höpcke, der zwei Legislaturperioden als PDS-Fraktionsführer im Thüringer Landtag saß und heute als Rentner in Berlin lebt, am 25. Juni in der ehemaligen SED-Zeitung Neues Deutschland dieses damals heftig bekämpfte Buch lobte als „eine bleibend bewegende, ökologisches Verantwortungsbewußtsein schärfende Sicht auf Mensch, Natur und Gesellschaft“. Erst nach dem Mauerfall 1989 ist Hanns Cibulka in seine Heimatstadt Jägerndorf, aus der er als junger Mann vertrieben worden war, zurückgekehrt und hat über diesen Besuch das anrührende und lesenswerte Buch „Am Brückenwehr“ (1994) veröffentlicht. Weitere Altersprosa ist in den Bänden „Die Heimkehr der verlorenen Söhne“ (1996), „Sonnenflecken über Pisa“ (2000) und „Späte Jahre“ (2004) gesammelt. Obwohl er mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, darunter dem „Sudetendeutschen Kulturpreis“, ist sein Name im „Neuen Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945“ (1993) nicht genannt.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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