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Überhebliche Pionierarbeit

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Die Umbrüche, die der deutschsprachige Raum im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts erlebte, lassen sich dank manch literarischer Zeugnisse jener Jahre auch heute noch wie Zeitgeschichte erschließen. Im „Demian“ Hermann Hesses, im „Zauberberg“ von Thomas Mann und im „Ginster“ Siegfried Kracauers lebt ungebrochen die Morbidität einer bürgerlichen Kultur im Vorfeld und während des Ersten Weltkrieges auf. Die „Union der festen Hand“ Erik Regers und der „Fabian“ Erich Kästners geben einen Eindruck von dem tristen Charme der Weimarer Zeit. Ernst von Salomons „Die Geächteten“ schließlich bringt die Mentalität eines jugendlichen Aktivismus nahe, an dessen Ausgang der Nationalsozialismus steht. Zahlreiche weitere Autoren dieser Epoche, bekannte und weniger bekannte, haben mit ihren Werken in vergleichbarer Plastizität die von ihnen erlebte Gegenwart konserviert. Zu ihnen zählt auch – und nicht zuletzt – der 1890 geborene Hanns Johst. In seinem Roman „Der Anfang“ und in dem Schauspiel „Der junge Mensch“, beide sind noch im Ersten Weltkrieg entstanden, hat er den zeittypischen Topos des Heranwachsenden, der an den seelenlosen Konventionen, der bürgerlichen Bigotterie und den vorgegebenen, als lebensunwert empfundenen Lebensentwürfen leidet und seinen eigenen, so ästhetischen wie vitalen, vor allem aber von Sinn erfüllten Weg sucht, aufgegriffen und in einer Weise gestaltet, die ihn der Kritik schon früh als einen Schriftsteller mit Perspektive erscheinen ließ. In seinem Roman „So gehen sie hin“ zeichnete er knapp zehn Jahre später ein Porträt des funktionslos gewordenen, des „sterbenden“ Adels – sozusagen seine (literarisch allerdings weniger ambitionierte) Version eines Themas von Rudolf Borchardt. Hanns Johst gehörte mit seinen Dramen zu den meistgespielten Gegenwartsautoren der zwanziger Jahre, er bewegte sich im Umfeld des Expressionismus, dessen Intellektualität er allerdings kritisch sah, und pflegte zeitweilig den Kontakt zu Bertolt Brecht und Thomas Mann, mit letzterem verband ihn vorübergehend sogar so etwas wie Freundschaft. Daß er dennoch im heutigen Kanon der Literatur des letzten Jahrhunderts marginalisiert ist, hat einen evident politischen Grund: Hanns Johst wandte sich nämlich dem Nationalsozialismus zu. Ab 1929 engagierte er sich in der von Alfred Rosenberg initiierten Vorfeldorganisation „Kampfbund für deutsche Kultur“, 1932 trat er der Partei bei. Von 1935 bis zum Ende des Dritten Reiches stand Johst der Reichsschrifttumskammer vor, er trug im ehrenhalber verliehenen Generalsrang die SS-Uniform und genoß das Vertrauen und die Zuneigung von keinem geringeren als Heinrich Himmler. Nach Krieg und mehrjähriger Internierung gelang es ihm in der Bundesrepublik nicht mehr, literarisch zu reüssieren, er produzierte fast ausschließlich für die Schublade und starb weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit im Jahr 1978. Auch die wissenschaftliche Rezeption seines Werkes blieb sporadisch und zumeist bloß an ausgewählten Aspekten interessiert. Insofern ist es bereits ein Verdienst an sich, daß der in Osnabrück lehrende Germanist Rolf Düsterberg die erste sein gesamtes Leben abgreifende Monographie über Hanns Johst vorgelegt hat, die noch dazu auf einer außerordentlich breiten Materialbasis fußt. Im Zentrum der Pionierarbeit steht, und dies ist für einen Literaturwissenschaftler durchaus ungewöhnlich, das Wirken des „SS-Barden“ als Kulturfunktionär nach 1933, ein Lebensabschnitt also, in dem dieser, wie der Autor selbst einräumt, kaum noch produzierte. Düsterbergs Studie reiht sich damit in die Flut jener Veröffentlichungen ein, die in den jüngsten Jahren NS-Größen aus der zweiten oder dritten Reihe gewidmet worden sind, und ist weniger als ein Versuch zu lesen, das Werk Johsts im Kontext seiner Epoche zu verstehen, die eben auch einige Jahre vor der „Machtergreifung“ umfaßte. Dabei ist ihm selbst die Attitüde eines wissenschaftlich kaschierten Herrenmenschentums, das Fakten der subjektiven Denunziationsabsicht unterordnet, nicht fremd. Da er von der manischen Vorstellung geleitet ist, eine Prädisposition Johsts für einen natürlich auch Völkermord in Kauf nehmenden Führerkult schon in dessen frühen und frühesten Werken nachzuweisen, interpretiert er diese im Vertrauen darauf, daß sie wohl niemand mehr kennt, brachial gegen den Strich. Wer sich die Mühe macht, sie im Original ganz zu lesen, erkennt jedoch auf Anhieb, wie konstruiert der vermeintliche rote Faden ist. Die eigentlich spannende Frage, wie jemand, der seine literarische Laufbahn im Aktionsbuch von Franz Pfemfert beginnt und sich dabei in einem Genre bewegt, das später als „Asphaltliteratur“ verfemt wird, schließlich dazu gelangt, Reiseimpressionen zu verfassen, die schwülstig über Ostlandfahrten mit der SS-Führung berichten, bleibt unbeantwortet. Man muß Düsterberg leider unterstellen, daß es ihm dafür wahrscheinlich auch an ausreichenden Kenntnissen über das bewegte Geistesleben der Weimarer Republik insgesamt und den Beitrag, den die Rechte zu diesem geleistet hat, im besonderen mangelt. Wer hier das Wort ergreift, sollte sich schon auf ein wenig mehr als die propädeutische Arbeit Sontheimers über antidemokratisches Denken stützen. Auch dort, wo Düsterberg eher zu Hause zu sein scheint, im Wust der NS-Akten nämlich, unterminiert er durch Übereifer die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung. Anstatt die Quellen für sich selbst sprechen zu lassen und Johst als einen fanatischen Nationalsozialisten herauszuarbeiten, den auch das offenkundige Unrecht nicht von seiner Auffassung abzubringen vermochte, will er ihm partout persönliche Schuld und eine perfide Verbrämung des ihm vermeintlich in allen Facetten bekannten Massenmordes nachweisen (wohingegen die Tagebuchnotiz Thomas Manns, der zufolge eine Million Deutsche ausgemerzt werden sollten, als völlig unproblematisch in den Raum gestellt wird). Gerade diese Schlußfolgerungen aber gibt das Material nicht her, und so muß Düsterberg zu fragwürdigen Methoden greifen, um sie dennoch zu etablieren: Er insinuiert und spekuliert, wo das Puzzle kein vollständiges Bild ergibt, und er gewichtet die Aussagen von Zeitzeugen nach privatem Gutdünken. Wer Johst belastet, gilt grundsätzlich als glaubwürdig, auch wenn daran selbst in den Entnazifizierungsverfahren Zweifel angemeldet wurden. Wer sich nach dem Krieg für ihn eingesetzt hat, wird hingegen grundsätzlich in schräges Licht getaucht, selbst wenn es sich um einen ausgewiesenen NS-Gegner gehandelt haben mag. Mehr als nur seine wissenschaftliche Integrität stellt Düsterberg dort in Frage, wo er sich zu grotesken Schrullen hinreißen läßt. So ist für ihn der (allerdings nicht näher erläuterte) „Sozialdarwinismus“ ein Leitmotiv Johsts, das er natürlich auch in dessen unter Pseudonym in einer Edeka-Hausfrauenzeitschrift publizierten, „Das Ende vom Lied“ betitelten Brotarbeit des Nachkriegs mit sicherem Auge identifiziert. Der weniger geschärfte Verstand des Lesers wird sich in dem gereimten Aufruf zum Verzehr von Pflanze und Tier jedoch eher an Heinz Erhardt als an Adolf Hitler erinnert fühlen. Tatsächliche oder vermeintliche Rechtschreibfehler Johsts in Manuskripten und Briefen kommentiert er mit einem Ausrufezeichen, um diesen nebenbei auch als jemanden zu entlarven, der nicht einmal der deutschen Sprache Herr war. Düsterberg seinerseits übersieht jedoch gelegentlich, daß man den Vornamen Brechts keineswegs mit „d“ am Ende schreibt. Dafür weiß er immerhin über die Persönlichkeit Johsts im Detail Bescheid: Dieser war nämlich, so wird über das ganze Buch immer wieder verkündet, subaltern, schwächlich, medioker, faul, geldgierig und vieles andere Fiese mehr. Natürlich kann man nicht verlangen, daß einem exponierten Funktionär des „Dritten Reiches“ übermäßige Sympathie entgegengebracht wird. Solche vor bedenklicher Überheblichkeit strotzenden Urteile sind jedoch deplaziert in einer Studie, die wissenschaftlich ernst genommen werden soll. Rolf Düsterberg: Hanns Johst – „Der Barde der SS“. Karriere eines deutschen Dichters. Schöningh Verlag, Paderborn 2004, 462 Seiten, gebunden, 39,90 Euro

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