Es ist schon komisch, mit welchen Problemen sich erwachsene Männer noch Mitte des 20. Jahrhunderts abquälten. Wer nur die Namen von zweien dieser Männer hört, den des deutschen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt (1888-1985) und den des spanischen Romanisten Álvaro d’Ors, könnte sich die Erklärung leicht machen: Der eine sei halt durch die Ungnade der frühen Geburt hoffnungslos ein Kind des 19. Jahrhunderts geblieben, der andere, Jahrgang 1915, sei im „mittelalterlichen“ Spanien sozialisiert worden, lange bevor dort Thronfolger geschiedene Moderatorinnen ehelichen durften. Da haben sich zwei „alteuropäische“ Modernisierungsverlierer par excellence also gesucht und gefunden. Kein Wunder, daß der Ältere mit starrsinniger Penetranz behauptet, der Mensch lebe nicht vom Brot allein. Kreisen doch Schmitts Gedanken ohn‘ Unterlaß um diluviale Themata wie den „Kern des Christentums“, den skurrilen paulinischen „Katechon“, von dem selbst beinharte Hochkatholiken nicht recht wissen, warum er überhaupt das verdiente Weltende aufhalten soll, oder die Vorstellung, das „Bild der heutigen Lage“ lasse sich bis an die „Schwelle der Eschatologie“ führen. Sein Briefpartner gibt ihm darin nichts nach. Álvaro d’Ors, so annotiert Montserrat Herrero, die Herausgeberin des von ihr eingeleiteten und kommentierten Briefwechsels beider Juristen, sei 1936, zu Beginn des spanischen Bürgerkrieges, in Pamplona dem „paramilitärischen Verband der Carlisten“ beigetreten, den freiwilligen „Requetés“, die sich der Revitalisierung katholischer Spiritualität verschrieben hätten. Hier habe d’Ors seine „Glaubenserneuerung nach der Art der Traditionalisten“ erlebt, und dies erkläre die theologischen Wurzeln seines politischen Denkens, das ihn gewiß bestimmte, 1962 vom Lehrstuhl in Santiago di Compostela an die Opus-Dei-Universität in Pamplona zu wechseln. Vom „Privatkatholizismus“ des exkommunizierten „politischen Theologen“ Schmitt mag das meilenweit entfernt gewesen sein. Doch es reichte aus, um das weltanschauliche Fundament einer über Jahrzehnte bewährten Freundschaft zu legen, deren Bande während einer Vortragsreise Schmitts Ende Mai 1944 in Granada geknüpft wurden, wenige Tage vor Beginn des am „Omaha-Beach“ in der Normandie auf den europäischen Kontinent zugreifenden angelsächsischen „Nehmens-Teilens-Weidens“. Ungeachtet markanter Differenzen zwischen dem aus d’Ors‘ Sicht schon viel zu sehr neuzeitlichem Modernismus verfallenen, von Bodin und Hobbes, den „schlechten Freundschaften“, in Fesseln geschlagenen Schmitt und seinem hispanischen Verehrer, einte sie jenes „Schreckbild“, das der koranfeste Fundamentalist heute den „großen Satan“ nennt. Die Korrespondenz, 1948 einsetzend, Ende 1983 endend, die ihren intellektuellen Schwerpunkt in den fünfziger und frühen sechziger Jahren hat, kreist denn auch um Schmitts Lebensthema: den „Nomos der Erde“ und die Überzeugung, daß die „Einheit der Welt“ gewiß nicht von Washington und New York aus gestiftet werde. Gegen den zivilisatorischen Universalismus des „nordamerikanischen Imperialismus“, gegen seinen Menschenrechts-Utopismus und den obszönen, zähnebleckenden Progressismus eines kosmopolitischen Verbandes, der statt des Weißkopfadlers besser den Alligator zum Wappentier hätte wählen sollen, wetteifern beide, um die schärfsten Invektive ins Feld zu führen. Álvaro d’Ors scheut sich dabei nicht, sogar das Tor zu gemeinhin anrüchiger Verschwörungstheorie aufzustoßen, wenn er dem verehrten „Don Carlos“ etwas über den „freimaurerischen Demokratismus“ zuraunt, schlimmer noch über die „Herrschaft der Synarchie, die vorzüglich von Amerikanern gebildet wird“. Geschrieben 1976, ein paar Wochen nach Francos Tod, dabei den fatalen Prinzen Bernhard von Holland erwähnend, so daß man erwartet, jetzt ziehe d’Ors sogleich gegen „die Bilderberger“ vom Leder und der Name Henry Kissingers stehe in der nächsten Zeile. Obwohl uns dies erspart bleibt, könnten jene manischen „Stellensucher“ zweifellos fündig werden, die Belege für ihre These suchen, hier schlage man nur vordergründig verbal auf den US-amerikanischen Universalismus ein, tatsächlich spielten die beiden Korrespondenten jedoch „Cherchez le juif“. Wie der Leser dies deuten soll, schreibt die Herausgeberin in ihrer ausführlichen Einleitung nicht vor. Er muß sich selbst ein Urteil bilden, wobei es gerade Jüngeren schwerfallen dürfte, heute, inmitten der Amerikanisierung Europas, Verständnis für diese in Plettenberg, Santiago und Pamplona verankerten „Standorte im Zeitstrom“ aufzubringen. Immerhin vermittelt die Edition, und dies ist ihr Hauptverdienst, Bekanntschaft mit einer geistigen Lage, die noch bis in die sechziger Jahre hinein von genuinem Pluralismus geprägt war, dem heute, wo drei oder vier Medienkonzerne die „Weltöffentlichkeit“ kreieren, etwas Legendäres anhaftet. Geschuldet ist diese Abweichung vom Zeitgeist der metaphysischen Unruhe beider Briefpartner, ihrem dezidierten „Anti-Modernismus“, der im 21. Jahrhundert gewöhnungsbedürftig ist. Das heute Altmodische, in ihrer Zeit Nonkonforme, zeichnet die Herausgeberin am besten nach in ihrer Akzentuierung des gemeinsamen Widerstandes gegen die „Einheit der Welt“, während ihre Darlegungen über „Legalität und Legitimität“ für den deutschen Leser schon deshalb verwirrend wirken, weil die Schmitt-Exegese fahrig ausfällt und d’Ors‘ Positionen im Referat Herreros viel zu punktuell präsentiert werden. Abschließend sei vermerkt, daß der Käufer dieses Werkes, ausgedrückt in „richtigem Geld“, immerhin fast einhundert Mark auf die Ladentheke seines Buchhändlers legen muß. Dafür hätte er Anspruch auf mehr verlegerischen Aufwand und editorische Mühewaltung. Gemessen an der erschreckenden Zahl der Druckfehler muß man nämlich monieren, daß das Lektorat dieses Manuskript offensichtlich nur „durchgewunken“ hat. Andernfalls wäre auch das Register feiner ausgefallen, also nicht nur Briefnummern, sondern besser Seitenzahlen aufführend. Das würde viel Zeit sparen. Und warum hat man die Herausgeberin nicht dazu angehalten, fremdsprachige Zitate konsequent zu übersetzen? Da sie hier dem Lustprinzip gehorcht, sind einige spanische Buch- und Aufsatztitel verdeutscht, auch lateinische Zitate, aber eben nur einige. Befremdlich wirkt dann, wieviel Mühe sie auf die Erläuterung des vergleichsweise trivialen „Hic Rhodus, hic salta“ verwendet, während sie wichtigere Sentenzen übergeht, auf die beide Korrespondenzpartner stets rekurrieren. „Pisa“ hin oder her – man muß der Wahrheit ins Auge schauen und darf selbst bei denen, die vor Jahren noch gerade das große Latinum geschafft haben, nicht mehr voraussetzen, daß sie viele Schlüsselzitate, in denen Schmitt und d’Ors ihre Ansichten codieren, ohne Rückgriff auf den kleinen Stowasser verstehen können – abgesehen von der Frage, welche interpretierende Übersetzung sich die Herausgeberin denn zurechtgelegt hat. Daß sie selber hier nicht sonderlich sattelfest zu sein scheint, muß nicht erst dem Hinweis des Althistorikers Wolfgang Schuller entnommen werden, dem „die Fehler in bezug auf die antike Kultur“ aufgefallen sind (FAZ vom 21. Mai). Daneben ignoriert sie souverän viele Hintergründe von Briefpassagen, über man sich Aufklärung erhofft . Was meint d’Ors in seinem Schreiben vom 8. April 1966, wenn er über Schmitts Schwiegersohn Alfonso Otero und den „Ballast der Feindschaft“ gegenüber einer bestimmten Universität spricht? Das ist eine jener Blindstellen, die Grund zur Vermutung geben, Herrero gehorche bei ihrer Kommentierung weltanschaulichem Opportunismus, spare also spezifisch spanische Interna aus, die vielleicht d’Ors‘ Opus-Dei-Einbindung berühren. Hinzu kommen kapitale Schnitzer in den Anmerkungen, die oft nicht nur „das Peinliche durchaus streifen“ (Schuller). Zu den Böcken, die Herrero dabei schießt, zählt die Beförderung des Mommsen-Biographen Lothar Wickert vom wissenschaftlichen Hilfsarbeiter der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu deren „Direktor“. Und schrieb Schmitt 1949 wirklich, der seit 1939 in Köln lehrende Althistoriker Wickert leite dort ein „Institut für Raumforschung“? Die Gelehrten-Kürschner von 1950 erwähnt davon jedenfalls nichts, so daß man einen Transkriptionsfehler vermutet. Wenig wahrscheinlich ist auch die Angabe, Javier Conde habe Hermann Heller 1935 in Madrid begleitet, da der emigrierte deutsch-jüdische Staatsrechtslehrer schon 1933 im spanischen Exil gestorben ist. Xavier Zubiri studierte zwischen 1928 und 1930 sicher nicht „mit“ dem siebzigjährigen Husserl in Freiburg, sondern „bei“ ihm. Der in Danzig geborene „Papst der Clausewitz-Forschung“ Werner Hahlweg heißt nicht „Halweg“. Was die Verballhornung des Namens von Carl Eschweiler zu „Erschweiler“ angeht, weiß man hingegen nicht recht, ob dies dem emsigen Druckfehlerteufel oder der Unwissenheit der Herausgeberin geschuldet ist. Letzteres ist leider wahrscheinlich, da sie seine Wirkungsstätte, die Staatliche Akademie im ostpreußischen Braunsberg, nach „Braunsfeld“ ins kirchengeschichtlich ebenso unbekannte Bistum „Ermsland“ verlegt. Als Spanierin muß man diese katholische Diaspora bei den fernen Boromäern nicht kennen, aber man muß dann jemanden zur Hand haben, der Bescheid weiß, etwa einen professionell arbeitenden Lektor. Man kann nur hoffen, daß der Verlag in Zukunft bei der Betreuung der Editoren seines hauseigenen Klassikers Carl Schmitt eine größere Portion Sorgfalt an den Tag legt. Montserrat Herrero (Hrsg.): Carl Schmitt und Álvaro d’Ors. Briefwechsel. Duncker&Humblot, Berlin 2004, broschiert, 352 Seiten, Abbildungen, 48 Euro Foto: Carl Schmitt und Álvaro d’Ors (um 1960): Die metaphysische Unruhe zweier Anti-Modernisten