Die Eröffnung einer Kunstaustellung zählt nicht zu den Dienstpflichten des Bundeskanzlers. Also hat Gerhard Schröder sich etwas dabei gedacht, als er die Einweihungsrede für die Berliner Flick-Collection am 21. September übernahm und die Kritiker ignorierte, die den Stifter der Ausstellung, Friedrich Christian Flick, als Veredeler großväterlichen „Blutgeldes“ (Salomon Korn) beschimpften. Schröder hielt dagegen: „Wir wollen also die Kunst feiern – und die Tatsache, daß diese Kunst, die der Sammler Friedrich Christian Flick zusammengetragen hat, von nun an öffentlich sichtbar ist.“ Dem Kunstsammler bekundete er ausdrücklich „Respekt“ für dessen Fähigkeit, „Verantwortung“ wahrzunehmen. Was war der Hintersinn dieses Auftritts? Da ist zum einen der Glamour-Faktor. Schröder hat es genossen, sich unter Leute zu begeben, die außerhalb des Politikbetriebs stehen und auch keine Gewerkschafts- oder Autobosse sind. Der Öffentlichkeit und sich selber hat er demonstriert, was für eine vielfältig interessierte und gefragte Persönlichkeit er doch ist! Ein anderer Grund: Schröder sonnt sich gern in der Aura moderner Kunst, das hat er schon als Ministerpräsident in Niedersachsen getan. Sie impliziert Aufbruch, Tatkraft, Mut zu realistischer Weltsicht und zu frischen, unkonventionellen Sicht- und Denkweisen – also genau das, was er in der Politik zu verkörpern versucht. Der Kanzler bastelt weiter an seinem Image als moderner Macher. Es ist unverkennbar, daß ihm der gleichaltrige Flick persönlich imponiert, obwohl – oder weil – der einer völlig anderen sozialen Schicht entstammt. Flick hätte es sich leichtmachen können. Hätte er den Millionenerben Reemtsma nachgeahmt und Fäkalkübel über die Wehrmachtssoldaten ausgekippt – die jubelnde Zustimmung der bundesdeutschen Patenthumanisten wäre ihm sicher gewesen! Flick hat sich für den schwierigen Weg entschieden. Er bekennt sich zur Verantwortung, die sein Name ihm auferlegt, er läßt sich aber nicht von Pharisäern und Lobbyisten vorschreiben, welche Konsequenzen er daraus zu ziehen hat. Erst recht lehnt er es ab, seine Existenz und Handlungen unter die Zumutungen einer Erbschuld zu stellen, sondern er besteht auf persönlicher Autonomie und Entscheidungsfreiheit. In Flicks standhaftem Eigensinn erblickt Schröder ein Handlungsmodell für seine Kanzlerschaft. Deshalb stärkte er ihm offensiv den Rücken. Kunstausstellungen seien nicht dazu da, über „deutsche Geschichte zu verhandeln“, sagte er, und: „Die Kunst muß die Chance erhalten, sich aus sich selbst heraus zu entfalten.“ Auf die Ebene der Geschichts- und Gesellschaftspolitik transponiert, bedeutet das: Mit der Kontamination allen gesellschaftlichen Lebens durch die Hitler-Zeit und mit der Lust an der Schuld muß es endlich ein Ende haben! Um diesen Standpunkt Geltung zu verschaffen, setzte er sich – wie die Zeit zeterte – sogar über schriftliche Beschwerden aus Israel hinweg. Schröder will ein Bismarck sein, kein tragischer Held Wenn man den Sozialstaat umbauen will, so kalkuliert Schröder ganz richtig, muß man auch sein ideologisches Inventar revidieren. Schröder bleibt dabei er selbst, das heißt, er handelt instinktiv statt reflexiv. Manchmal führt das zu Fehlgriffen wie in seiner Warschauer Rede am 1. August, als er die Vertriebenen attackierte, doch oft liegt er richtig und trifft die Mehrheitsstimmung. Es ist in den letzten Wochen viel behauptet worden, der Kanzler habe seine finale Rolle in der des tragischen Helden gefunden. Von bitterem Stolz erfüllt, lasse er sich lieber von seinem kleinmütigen Volk steinigen, als von der sozialpolitischen Wahrheit abzulassen. Überzeugend war diese Darstellung nie. Schröder ist von seinem ganzen Charakter her nicht auf Untergang, sondern auf Sieg gepolt. Er will als Kanzler der Sozialreform, als derjenige, der den kränkelnden deutschen Staat wieder wetterfest gemacht hat, in die Geschichtsbücher eingehen. Auffällig oft betont er, unter seiner Kanzlerschaft würde die größte Sozialreform seit Bismarck in Angriff genommen. Das zeigt, in welchen Dimensionen er sich gedanklich bereits bewegt. Seine Reformpolitik kann er aber nicht gegen das Volk durchführen, das permanent depressiv und ängstlich ist. Er braucht seine Unterstützung und dazu einen Stimmungsumschwung. Selbstbewußte, optimistische, zupackende Menschen sind aber nur zu haben, wenn innerer Friede einkehrt, Friede mit der eigenen Geschichte. Das hat Schröder verstanden. Dafür hat er mit seinem Auftritt im Hamburger Bahnhof ein Zeichen gesetzt. Da behaupte noch einer, der Kanzler begriffe die Kunst nicht politisch. Die Friedrich Christian Flick Collection ist bis zum 23. Januar 2005 in Berlin im Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, zu sehen. Öffnungszeiten: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, So. ab 11 Uhr und Sa. von 11 bis 22 Uhr. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung folgt in einer der nächsten JF-Ausgaben.