Bei dem Schloß Gosecker Musikverlag Raumklang besinne man sich, so urteilte im März 1997 das Musik-Magazin Fono-Forum, „auf das Erscheinungsbild des Mediums, das nicht nur wie ein standardisiertes Industrieprodukt mit austauschbarem musikalischem Inhalt wirken soll; vielmehr wird ein ambitioniertes kulturelles Produkt im Layout, im Artwork, im CD-Behältnis selbst geschaffen“. Raumklang-Produktionen erscheinen nicht in einer Plastik-Box, sondern in einem an die Buchherstellung erinnernden Kartoneinband. Charakteristisch sind weiter die überaus ästhetische Gestaltung und umfangreiche, informative Texthefte. Alle diese Merkmale treffen auch auf eine neue Produktion dieses Verlages zu, die den Titel „Leise schwimmt der Mond durch mein Blut“ (RK 2202) trägt. Die Künstler Elena Janis Hamann (Gesang), Matthias Zeller (Violine, Posaune) und Tobias Rank (Klavier, Kompositionen) haben Gedichte von Else Lasker-Schüler (1869-1945) zu Liedern vertont. Gottfried Benn bezeichnete Lasker-Schüler einmal als „größte Lyrikerin“, „die Deutschland je hatte“. Ihr Leben war ein ständiges Spiel mit Masken und Verwandlungen. Mit ihren kurzen Haaren, ihrer knabenhaften Figur und ihren orientalischen Accessoires war sie schon aufgrund ihres Auftrittes eine Provokation. Auf der anderen Seite gab es aber auch eine Gefolgschaft glühender Verehrer in den literarischen Cafés vor 1933. Mit Gottfried Benn verband sie eine kurze und leidenschaftliche, aber tragische Liebesbeziehung. Liebessehnsucht, Enttäuschung und Verlusterfahrung waren ihre ständigen Begleiter. Tobias Rank ist es gelungen, ihre Texte so in Melodien und Akkorde zu verweben, daß der Hörer sofort von dieser Aufnahme gefangengenommen wird. Die Texte oszillieren zwischen todesahnenden Abgründen und lachendem Überschwang. Das Spektrum reicht von Chanson und Klezmer über Jazz bis hin zur Annäherung an Neue Musik. Dabei gelingt es allen drei Musikern, dieser niveauvollen Produktion ihren unverwechselbaren Stempel aufzudrücken. Ähnlich wie das Auftreten der Lasker-Schüler in der Zeit vor 1933 ihre Zeitgenossen polarisierte, spaltet die 1993 gegründete Gruppe Rammstein die Öffentlichkeit. Ihre Melange aus Metal, Gothic und Industrial stößt entweder auf begeisterte Aufnahme oder auf barsche Ablehnung. Gleiches gilt für die Texte dieser Gruppe. Jetzt hat sich der 1965 in Dresden geborene Komponist Torsten Rasch dem Werk dieser Gruppe angenommen, das er radikal umgedeutet hat. Der Titel seiner Produktion lautet „Mein Herz brennt“ (Deutsche Grammophon). Torsten Rasch vertonte mehrere Gedichte aus der Feder Till Lindemanns für ein Sinfonieorchester neu. Hierbei finden sich spätromantische Elemente genauso wie die neutönerische Avantgarde von Arnold Schönberg bis zur neuen E-Musik unserer Tage. Hin und wieder setzt Rasch, der sich vor allem als Filmmusiker einen Namen machte, auch auf kinematografische Tontexturen („Seemann“) oder ethno-folkloristische Anklänge („Sehnsucht“). Unterstützt wird Rasch durch die Schauspielerin Katharina Thalbach, die als Sprecherin in Erscheinung tritt, und den international gefeierten Baß-Bariton René Pape in den Gesangspassagen. Schlüssig war auch die Wahl der Dresdner Sinfoniker, die auf moderne Partituren spezialisiert sind. Thalbach und Pape gelingt es, die Rammstein-Texte sensibel und vielschichtig darzubieten, für viele Rammstein-Anhänger vielleicht zu sensibel. Was diese Scheibe voraussetzt, sind nicht festgelegte Hörer ohne Scheuklappen. „Mein Herz brennt“ ist ein eigenständiges Werk, das Rammstein nicht E-musikalisch imitieren will, sondern zu neuen Ufern aufbricht.
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