Was macht eigentlich Ulrich Schacht? Vor fünf Jahren kehrte der in Wismar geborene (und 1976 aus DDR-Haft in den Westen entlassene) Schriftsteller und Journalist Deutschland den Rücken und wanderte nach Schweden aus. Heute lebt er zurückgezogen auf dem Land, umgeben von Wiesen und sanften Hügeln, nur wenige Kilometer vom Meer entfernt und sehr viel weiter weg von den Anfeindungen einer größeren Stadt. Es muß, den Beschreibungen zufolge, ein idyllischer Ort sein. Davor wohnte er in Hamburg, arbeitete im Brotberuf für die Welt am Sonntag und galt eine Zeitlang als einer der gewichtigsten Rechtsintellektuellen Deutschlands. Die als Echo auf Botho Strauß‘ „Anschwellenden Bocksgesang“ von Heimo Schwilk und ihm herausgegebenen Sammelbände „Die selbstbewußte Nation“ (1994) und „Für eine Berliner Republik“ (1997) setzten Marksteine konservativ-nationaler Publizistik. Dann kam, für Außenstehende überraschend, die Wegscheide. „In der Stadt hatte ich am Ende das Gefühl, daß sie die Zeit frißt wie ein gieriges Krokodil“, schreibt Schacht in einer autobiographisch grundierten Erzählung, die im vorigen August in der Zeitschrift Merkur erschienen ist und wo es weiter heißt: „Man wird herumgeschleudert, dreht sich wie rasend, stürzt in die Besinnungslosigkeit und verwechselt das eine ganze Weile mit Leben.“ Mittlerweile scheint er das Leben, sein Leben, zurückgewonnen zu haben. In der Abgeschiedenheit seines schwedischen Refugiums widmet er sich wieder ganz der frühen literarischen Berufung, schreibt Prosa und Lyrik, gelegentliche Ausflüge in den politischen Journalismus inbegriffen. 2001 veröffentlichte er unter dem Titel „Verrat“ eine Sammlung mit Erzählungen (JF 4/02), auf die kürzlich der Lyrikband „Die Treppe ins Meer“ folgte. Erschienen in der kleinen, aber anspruchsvollen Edition Toni Pongratz, die sich auf das Verlegen bibliophiler, meist vom Autor signierter Kleinode kapriziert hat, reihen sich die neuen Schweden-Gedichte Schachts nahtlos ein in den Zyklus seiner Nordland-Lyrik („Dänemark-Gedichte“, 1986; „Lanzen im Eis“, 1990). Was sie verbindet, ist ihr Horizont, im buchstäblichen wie im metaphorischen Sinn, ein Horizont der Freiheit. Manchmal führt eben der kürzeste Weg zu sich selbst in die Ferne. Ulrich Schacht ist ihn gegangen, und er ist angekommen. Bei sich selbst. Mehr kann man nicht wollen. Ulrich Schacht: Die Treppe ins Meer. Schweden-Gedichte. Edition Toni Pongratz, Hauzenberg 2003, 48 S., 10 Euro