Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) gehört zu den herausragenden britischen Schriftstellern des frühen 20. Jahrhunderts. Dennoch ist er im deutschen Sprachraum oftmals nur durch seine "Father Brown Stories" (in der Verfilmung mit Heinz Rühmann) bekannt. Die anderen Werke des kämpferischen, doch stets lebensfrohen Konvertiten – sechs Romane, fünf Theaterstücke, mehr als hundert Gedichte, etwa zweihundert Kurzgeschichten und mehr als viertausend Essays – wurden entweder nie oder schon lange nicht mehr ins Deutsche übersetzt.
Doch Chesterton, dessen Fangemeinde ununterbrochen fortbestand, erfährt seit einigen Jahren ein neuerwachtes Interesse. Zunächst legte der Eichborn-Verlag zwei autobiographisch gefärbte Essaybände Chestertons vor: "Ketzer" (1998) und "Orthodoxie" (2000), dann begann der kleine Bonner Verlag nova & vetera sich der Neu- beziehungsweise Wiederauflage der Werke Chestertons anzunehmen. Dort erschien 2002 die "Autobiographie" Chestertons (JF 09/03) und 2004 ein Band mit Kriminalerzählungen (JF 41/04).
Zwei weitere neue Chesterton-Bücher aus diesem Verlag liegen vor. Schon Ende 2003 erschien ein Doppelband mit den Biographien von Thomas von Aquin und Franz von Assisi. Bei der Biographie des heiligen Thomas machte der Herausgeber eine sensationelle Entdeckung: Alle bisherigen Fassungen dieses Textes (bei Herder unter dem Titel "Der stumme Ochse") benutzten die Übersetzung von Elisabeth Kaufmann von 1935. Dort jedoch fehlen nicht nur Bezüge zur zeitgenössischen Literatur, sondern auch kritische Bemerkungen zum aufkeimenden Nationalsozialismus. Teilweise wurden verbindende Abschnitte komplett neu geschrieben. Am gravierendsten ist wohl der Wegfall des fast fünfseitigen Schlußteils, in dem Chesterton heftige Kritik an Martin Luther übt. Er bezeichnet den Reformator als einen "großen Barbaren", "vor sich hinbrütend, aufrichtig", aber auch "eindeutig krank" – um schließlich in dem Vergleich zu gipfeln, wenn der Verstand des Aquinaten einer großen Landkarte entspräche, wäre der Luthers hierauf fast unsichtbar. Er sieht in Luther den Erschaffer der modernen Welt, der die Vernunft abschaffte und sie durch die Vorstellung ersetzte.
Chestertons Thomas-Biographie, die etliche Thomisten für das beste Werk über den Aquinaten halten, wird in diesem Buch ergänzt von einer Biographie über den heiligen Franz von Assisi. Als Chesterton 1922 zur katholischen Kirche konvertierte, nahm er den Namen Francis als Firmnamen an; ein Jahr später veröffentlichte er seine Biographie über Franz von Assisi. Auch bei der Franziskus-Biographie war die bisher einzige Übersetzung aus dem Jahr 1927 unvollständig. Beiden Biographien ist jeweils ein einleitendes Essay des britischen Tolkien- und Chesterton-Kenners Joseph Pearce vorangestellt.
Des weiteren erscheint pünktlich zum Weihnachtsgeschäft ein Band mit 33 Essays von Chesterton zum Thema Weihnachten. Vorwiegend sind sie den Kolumnen entnommen, die Chesterton wöchentlich in den Zeitungen London News und Daily News sowie in seiner eigenen Zeitschrift G.K.’s Weekly veröffentlichte.
Chesterton besitzt die Gabe, Argumente von zwingender Logik in geistvoller und meist amüsanter Form vorzubringen, wobei er sich auch als ein Meister des Paradoxons beweist. Er besitzt in gleichem Maße Esprit wie Originalität. Davon ist auch dieser Band wieder ein Zeugnis. Ebenso wird hier die gedankliche wie stilistische Virtuosität Chestertons sichtbar. Er entwickelt seine originellen und meist provokanten Gedanken über Weihnachtsgeschenke, Weihnachtslieder, heidnische Einflüsse, bäuerliche Traditionen, kindliche Freude, Krieg und Frieden (im Jahr 1918 verfaßt). Immer wieder bietet er auch scharfe Attacken gegen die "Feinde der Weihnacht": die Egoisten, die Rationalisten und die Modernisten. Er verteidigt den bodenständigen christlichen Glauben gegen pseudointellektuelle Angriffe. Mit Vehemenz kämpft er für das Weihnachtsfest, das dem Wesen des Menschen weitaus mehr entspricht als alle noch so modernen Ideologien.
Heute noch wird das Weihnachtsfest durch die moderne Philosophie, Geschichtsforschung und Psychologie in Frage gestellt. Doch auch die Argumente Chestertons haben der Zeit standgehalten. Sie sind immer noch lesenswert und fordern zur intellektuellen Auseinandersetzung heraus. Chesterton, der sich den zeitgeistkonformen Strömungen immer beharrlich widersetzte, ist heute mit seinen Gedanken weitaus moderner als die Modernisten seiner Zeit.
Gilbert Keith Chesterton: Thomas von Aquin – Franz von Assisi. Verlag nova et vetera, Bonn 2003, 333 Seiten, gebunden, 20,50 Euro
Gilbert Keith Chesterton: Die neue Weihnacht. Verlag nova et vetera, Bonn 2004, 220 Seiten, gebunden, 22,50 Euro