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Marc Jongen, ESN Fraktion

Möglichkeiten, Mensch zu sein

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Cato, Palmer, Exklusiv

Ich würde lieber nicht. – I would prefer not to“: So höflich, so störrisch entsagt der seither zum post- und antimodernen Helden beförderte Bartleby nicht nur seiner Tätigkeit als „Schreibgehilfe“ – nämlich als Textabschreiber -, sondern letztlich dem Leben. Mit dieser Erzählung von 1853 probte der amerikanische Schriftsteller Herman Melville die Totalverweigerung gegen die totale Freiheit: in einer Demokratie, die einzig den Willen, zu sein wie alle anderen, höher schätzt als das Recht, anders zu sein, die beruflichen Ehrgeiz und Erfolg für das konstitutionell garantierte Streben nach dem Glück hält. Einer, der sich den perversen Luxus gönnt, ohne Not auszuzehren: Bartleby, schwärmte das Feuilleton, als Christoph Marthaler den Verzichter im letzten Jahr mit „Lieber nicht. Eine Ausdünnung“ auf die Berliner Volksbühne zerrte, sei ein Kunststück, nein Kunstwerk gelungen, indem er verstummte, ohne zu schweigen. Oder umgekehrt. Auch Charles Bukowski zog es vor, nicht zu. Statt sich als Lohnschreiber zu verdingen, schob er fünfzehn Jahre lang Schicht bei der Post, wo einst auch Bartleby – auf dem kafkaesk benannten „Dead Letter Bureau“, dem Amt für unzustellbare Briefe – seine Laufbahn als Verrichter sinnwidriger Ansinnen begonnen hatte. Bukowski, der am 9. März 1994 im kalifornischen San Pedro an Leukämie starb, war ein wüsterer, ein lauterer Neinsager aus unlautereren Motiven, dessen Kunst darin bestand, weder zu schweigen noch zu verstummen. Auf seinem Grabstein steht „Don’t try“, was sich ebenfalls nicht befriedigend übersetzen läßt: Gib’s auf, laß es bleiben, was soll’s? Vielleicht war es kein Zufall, wenn die erste eigene Begegnung mit Bukowskis Dichtung kurz vor dem Abitur dank eines Klassenkameraden geschah, der die Bundesrepublik kaum weniger haßte als Deutschland – und sich gegen eine Wehrdienstverweigerung entschied, weil er fand, man müsse „diesen Staat schröpfen, wo man kann“. Außerdem: „Glaubst du, ich hab‘ Bock, ein Jahr lang Kotze und Scheiße aufzuwischen?“ Damit meinte er sich nicht nur des Vokabulars, sondern auch der – um nicht zu sagen mangelnden – Sensibilität seines Idols bedient zu haben. Solche Leser hat Bukowski ausgehalten. Wer weiß schließlich, was für ein Landsmann aus ihm selber geworden wäre, hätte der Vater, ein polnischstämmiger US-Soldat, den zweijährigen Henry Charles und seine Mutter nicht mit über den Atlantik genommen. In Los Angeles darbt es sich allemal poetischer als in Andernach, wo er am 16. August 1920 geboren wurde. Bukowskis Roman „Das Schlimmste kommt noch“ (1982) schildert Kindheit und Jugend eines Außenseiters in den Depressionsjahren. Von den Eltern, einem spießigen Sadisten und einer braven Hausfrau, kann der junge Henry Chinaski genausowenig Verständnis erwarten wie von seinen Mitschülern, Lehrern oder den Schwestern im Armenkrankenhaus, wo seine schwere Akne behandelt wird. Trost und Heil spenden ihm Alkohol und Bücher: D. H. Lawrence, Dostojewski, Hemingway. Auf die Herausforderung eines Freundes – „Du wirst niemals Schriftsteller, wenn du dich vor der Realität drückst“ – antwortet der nun 18jährige: „Genau das tun doch Schriftsteller!“ Vom Vater – dem angeblich seine Kurzgeschichten nicht gefielen – vor die Tür gesetzt, absolvierte Bukowski nach einem kurzen Journalistik-Studium am Los Angeles City College die für angehende Barden schier unerläßlichen Lehr- und Wanderjahre als Hungerlöhner, streifte durch die USA und blieb, wo er Arbeit fand: von der Tankstelle bis zur Hundefutterfabrik. Seine erste veröffentlichte Kurzgeschichte trug den bezeichnenden Titel „Nachwirkungen einer längeren Ablehnungsnotiz“. Einer, der außer „Don’t try“ nichts zu sagen hat, wäre bei den toten Lettern ganz gut aufgehoben. Als ihm ein Verleger ein Monatsgehalt von hundert Dollar versprach, kündigte Bukowski 1970 seinen Broterwerb, um sich von nun an als Schriftsteller durchzuschlagen – und zunehmend durchzusetzen. Auch Henry Chinaski, der in Bukowskis literarischer Aufbereitung seines mal prosaischen, mal lyrischen Alltags immer wieder als Ich-Erzähler auftritt, darf sich am Ende des kurz darauf entstandenen Romans „Der Mann mit der Ledertasche“ der leidigen Dienstanweisungen entledigen. Statt 23-Minuten-Briefkörbe in 28 Minuten zu leeren, versuchte er „zu schreiben,/ich existierte kaum,/meistens tippte ich /dreckiges Zeug für /Sexmagazine. … Es war eine/aufregende Zeit /obwohl wir es kaum /zu was brachten /und nie sehr weit weg waren /vom Irrenhaus oder /einem Leben in der Gosse“ („Zwei Trinker“). Die frühe Erkenntnis, daß Literatur eine Zuflucht vor der Realität bietet, scheint er nur beherzigt zu haben, um in eine noch härtere Wirklichkeit zu fliehen: Der Roman „Faktotum“ (1975) handelt von seiner Streunerzeit, „Das Liebesleben der Hyäne“ (1978) von den sexuell-romantischen Irrungen und Wirrungen eines fünfzigjährigen Dichters. Um so schwerer fällt es, Henry Chinaski nicht als Alias, sondern als fiktive Gestalt zu lesen, das Aufjaulen der gequälten Seele für ein Stilmittel zu halten und den unvermeidlichen Griff zur Flasche metaphorisch zu verstehen. Mit dem Drehbuch zu Barbet Schroeders Film „Barfly“ (1987) setzte Bukowski seinem Chinaski ein Denkmal in Zelluloid, und auch den Nachruf schrieb er sich selbst: „Ich hatte sieben oder acht Leben /in einem. Mehr kann man /nicht wollen. /Am Ende sind wir alle gleich /also bitte keine Reden /es sei denn, du willst sagen: /Er wettete auf Pferde /und darauf verstand er sich /sehr gut.“ („Vergiß es“) Man stellt ihn sich fluchend und wetternd an der Schreibmaschine vor – und mag doch das Foto, auf dem er sich zum inbrünstigen Kuß über sie neigt, während neben ihm der Aschenbecher überquillt. „Manche sagen mir, ich sei /berühmt./Warum sitz ich dann hier, /allein und betrunken, und/schreibe Gedichte/um 3 Uhr 18?“ („Verrückt wie eh und je“) Er schrieb, wie er trank – unflätig, unmäßig -, und trank, wie er schrieb: aus „Angst vor den vertanen Jahren“. Damit wußte er sich – ganz ungewohnt traditionsbewußt ­-in bester literarischer Gesellschaft, hatte „die Unmöglichkeit, Mensch zu sein“ doch Generationen von Dichtern, Denkern und anderen Künstlern in den Suff, den Ruin, den Wahnsinn oder zum Selbstmord getrieben: „diese verkrachten /Existenzen /diese Feiglinge /diese Champions/diese glorreichen/verrückten Hunde/die das Unmögliche tun/und uns diesen/schmalen Hoffnungsschimmer erhalten“ („Das Unmögliche“). In Europa, vor allem in Deutschland und Frankreich, liebt man Bukowski als Botschafter eines anderen, wilderen, eines nicht etwa besseren, aber irgendwie echteren Amerikas, als eine Art Henry Miller für Lesemuffel oder schlicht als „Buk“, so wie Hemingway schon „Hem“ war. Jean Genet und Jean-Paul Sartre sollen ihn für den „größten amerikanischen Dichter“ gehalten haben. In den USA selbst steht er heute noch im Schatten von Zeitgenossen wie Jack Kerouac, die eher von der Straße als aus der Gosse sangen, so schräg sie eben konnten. Auch der „dreckige Realismus“ seines Freundes Raymond Carver, der ein brillanterer Techniker war, aber weniger vor Durst brannte als Bukowski, muß oft als Maßstab herhalten. Daß seine Verse – befremdlich, wie sie oft sind – uns so gar nicht fremd klingen, verdankt Bukowski auch seinem Übersetzer Carl Weissner, der „kein Säufer“ war, immerhin: „er trank meinetwegen mit, und wir tranken ganz ordentlich“, wie Bukowski von seiner „Ochsentour“ durch Frankreich und Deutschland berichtet, bei der er am 17. Mai 1978 in der Hamburger Markthalle seine einzige deutsche Lesung gab. „Eine wahrhaft andere Kultur“, befand er: „Vielleicht lag es daran, daß sie zwei bedeutende Kriege in Serie verloren hatten, vielleicht lag es daran, daß ihre Städte von Bomben total zerstört worden waren, die Städte ihrer Väter. … Ich hatte wirklich zum ersten Mal das Gefühl, daß die Leute die Gedichte verstanden. Das warf mich zurück, ich mußte also mehr trinken.“ Wer nicht zynisch genug ist, in Bukowskis von Huren, Kakerlaken und räudigen Kötern bevölkertem Niemandsland zwischen Weltschmerz, Lebensmüdigkeit und Todesverachtung eine Utopie zu erblicken, kann sich am gelegentlichen Flimmern der kargen Elemente berauschen, das Fata Morganen wie diese erzeugt: „wie Müllautos/bebend vor Liebe;/aufstehen wie Lorca/von seinem Feldweg/mit einem weiteren Gedicht“ („Klasse“). Denn ganz ist der Zweifel, ob es nicht doch möglich sei, Mensch zu sein, bei Bukowski nie in Verzweiflung umgeschlagen. Zehn Jahre nach seinem Tod lebt die Legende fort: Jüngst stand in einem Internetforum der weise Ratschlag an Möchtegern-Kavaliere, auf keinen Fall bei der ersten Verabredung mit einer Angebeteten Bukowski-Gedichte zu zitieren. Man will ja nicht allzu widerwärtig menschlich wirken. Foto: Charles Bukowski (1920-1994): Flucht in eine härtere Realität

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