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Marc Jongen, ESN Fraktion
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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Ein Ort staatlicher Heiligkeit

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Über Moskau geht nur der Kreml, und über dem Kreml ist nur noch Gott“, lautet ein russisches Sprichwort. Es beschwört die überragende Bedeutung des Altstadtbezirks, Keimzelle des historischen Moskau, für die russische Geschichte: in seiner Doppelfunktion als Zentrum der politischen und religiösen Macht, als identitätsstiftender Mittelpunkt eines Reiches. Während der 900jährigen Geschichte Moskaus wurde der Kreml zum „Symbol des russischen Staatswesens, des orthodoxen Glaubens und der russischen Kultur“, so der Befund der Ausstellung „Gottesruhm und Zarenpracht“. Als illustres Ereignis der „Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen 2003/04“ zeigt jetzt nach Bonn der Berliner Gropius-Bau Schätze der legendären Sammlungen aus dem Zentrum der Macht. Der die Themenräume durchschreitende Besucher wird dabei ganz in die russischen Tiefen und Unwägbarkeiten hineingezogen. Auf Schritt und Tritt begegnen ihm Glanz und Tragik des west-östlichen Weltteils, überstürzen sich Assoziationen, verwickeln ihn in die komplikationsreiche Geschichte des Landes der unendlichen Weiten, des Terrors und der Frömmigkeit. Dreihundert sagenhafte Objekte und Szenarien zeigt diese farbenprächtige Schau, beladen mit allen Schicksalen eines tausendjährigen Weltreichs. Moskaus Geschichte beginnt im 12. Jahrhundert: eine dörfliche Siedlung aus Holz. 1236-40 überrennen die Mongolen Rußland, die Kiewer Rus bricht zusammen, auch Moskau wird zerstört und geplündert. 240 Jahre währt die schreckliche Bedrückung. In dieser Zeit erstarkt das Großfürstentum Moskau. Seit dem Siege Dimitri Donskois 1380 über die Tataren kehrt das russische Selbstvertrauen zurück, bis Iwan III. 1480 die Mongolen endgültig hinwegfegt. Er „sammelt die russischen Lande“ und bringt die staatliche Integration des wachsenden Imperiums mächtig voran. „Zwei Rome sind gefallen, aber das dritte steht“ 1453 war Konstantinopel gefallen. 1472 heiratet Iwan nun Sofia Palaiologos, die Nichte des letzten byzantinischen Kaisers. Damit wird Rußland zur Vor- und Schutzmacht der orthodoxen Christen, sichtbar in der Übernahme des byzantinischen Doppeladlers und Kaiserzeremoniells. „Die russischen Zaren übernahmen mit dem byzantinischen Erbe auch die Reichsidee, den Universalitätsanspruch und die Kaisermystik.“ (Hunger) Ausdruck fand diese Entwicklung in der mythischen Translationsidee von Moskau, dem „dritten Rom“: „Alle christlichen Reiche sind an ihr Ende gekommen und übergegangen in das eine Zarentum unseres Herrschers, gemäß den prophetischen Büchern. (…) Denn zwei Rome sind gefallen, aber das dritte steht, und ein viertes wird nicht sein“, so der Mönch Filofei. 1547 nimmt der Nachfolger, Iwan Grosny, den Titel eines „Zaren der ganzen Rus“ an. 1589 verselbständigt sich die russische Kirche: als fünftes orthodoxes entsteht jetzt das Moskauer Patriarchat. Der Kreml wird nun mit seinen Kirchen und Klöstern zum dauernden Sitz des Patriarchen und so ein Ort „besonderer staatlicher Heiligkeit“ für ganz Rußland. Nach der polnischen Invasion 1605-12, „Zeit der Wirren“, beruft die Reichsversammlung 1613 Michail Romanow zum Zaren. Damit beginnt die Herrschaft der Familie Romanow, die erst 1917 enden wird. Einschneidend für Moskau: die Regentschaft Peters des Großen (1682-1725), der im Nordischen Krieg (1700-21) Schweden verdrängt und an der Newa-Mündung seine neue Hauptstadt St. Petersburg errichtet. So ist die alte Kapitale seit 1712 nur mehr Krönungsort, nicht mehr Regierungssitz. Doch gewinnt Moskau 100 Jahre danach neue Bedeutung durch den Rußlandfeldzug Napoleons und den Vaterländischen Krieg 1812: nunmehr Ausgangspunkt romantischer und nationaler Ideen. Wie Deutschland haben die Befreiungskriege auch Rußland zu nationaler Selbstbesinnung auf Geschichte und Kultur geführt. So wird die alte Residenz zum erhabenen Vorbild eines „nationalen russischen Stils“, der Kreml das zentrale Kultur- und Geschichtsmonument. Der christlichen Taufe der Kiewer Rus 988 waren Gesandtenberichte aus Byzanz vorangegangen, deren hymnische Schilderungen der heiligen Liturgie von überirdischer Schönheit, vom „Wohnen Gottes unter den Menschen“ und dem Zauber des Lichts berichteten. Dieser byzantinische Glanz fiel fortan auch auf die russische Kirche, ihre goldenen Kuppeln, Heiligenlegenden und weisen Mönche. So zeigt die Ausstellung zahlreiche Kleinodien, Goldschmiedearbeiten, Sakraltextilien, Altargerät, welche dies Leuchten magisch vergegenwärtigen. Kostbare Evangeliare umgeben den Heiland mit filigraner Ornamentik, Erzengel zücken flammend ihr Schwert aus gesponnenen Goldfäden, und die liturgischen Broschen der Kleriker funkeln im Licht seltener Edelsteine. Kein Gedanke an äußerlichen „Prunk“ oder „Machentfaltung“: Die heiligen Zeichen künden von Tiefe und Imaginationskraft christlichen Glaubens in alter Zeit. Die zeremonielle Phantasie des Barock wirkt heute noch Gipfel ästhetischen Ausdrucks: die Ikonen, die russisch-orthodoxe Bildform bis ins 19. Jahrhundert. Statt des malerischen Individualismus im Westen hat Rußland auf dieser Sakralkunst mit ihrer kanonischen Motivik beharrt: Ideal- statt Realbilder heiliger Personen und Ereignisse, von der Entstehung bis zur Anbetung ganz dem kultischen Bezug zugehörig, Fenster in eine andere Welt. Da der Ikonenmaler die göttliche Schöpfung nachahmt, indem er den Farbauftrag sorgfältig schichtet, vom strahlenden Gold bis zum Schwarz, leuchten die Bilder in geheimnisvoller Transparenz. Der Gropius-Bau zeigt uns die ersten russischen Nationalheiligen, Boris und Gleb, auf zierlichen Pferden reitend, Christus als Weltenherrscher im scharlachroten Rhombus thronend oder beim Einzug in Jerusalem, durch persisch anmutende Ornamentalisierung imaginär entrückt, schließlich die Mutter Gottes nach dem Urbild der wundertätigen „Wladimirskaja“, vom Evangelisten Lukas selbst gemalt, das „Palladium Rußlands“. Ölmalerei, Naturalismus, Zentralperspektive traten langsam seit Peter auf, entfalteten sich indes, parallel zur westlichen Kunst, erst im 19. Jahrhundert. Der Betrachter vermag an den barocken Werken noch die tastende Unsicherheit wahrzunehmen, aufgezwungene Last einer fremden Kunstübung. Ein künstlerischer Sprung erst das große Repräsentationsbild Katherinas II.(†1796), deren italienische und englische Architekten (Rastrelli, Cameron) das monumentale Antlitz Petersburgs vollendeten. Ihre kühnen Umgestaltungspläne für den Kreml zeigen hier wuchtig die mannsgroßen Holzmodelle. Eindrucksvoll artikuliert dabei die ungeheure Prunkstiege zeremonielle Phantasie und theatralische Inszenierungskunst des Barock – die selbst heute noch funktioniert, wie sich 2003 anläßlich Bushs Empfang durch Putin im Winterpalast beobachten ließ. Slawophile und Westler stritten um Rußlands Zukunft Nach Reichsinsignien, Waffen und zeremoniellem Leibkaftan präsentiert sich Moskau zuletzt als Krönungsstadt. Hatte der Modernisierungsdespot Peter das traditionell russische Kostüm abgeschafft, so sehen wir auf dem Krönungsfoto 1896 das letzte Zarenpaar wieder in byzantinischer Gewandung. Ihr Ornat: Zeichen einer nationalen Rückbesinnung im 19. Jahrhundert auf die eigenen Wurzeln, „daß man die elementare Kraft zur Entwicklung im Volk selbst suchen müsse und nicht in der Einführung fremder Lebensformen“. Das war die Meinung der Slawophilen, die in ihrem Organ Moskowiter seit 1843 über den weltgeschichtlichen Beruf Rußlands, das Wesen des Glaubens und den Sinn der russischen Geschichte mit den Westlern stritten und sich gegen die petrinische Epoche, den rationalen Absolutismus, die Modernisierung westwärts und deren Symbol Petersburg wandten. Die letzten Zaren nahmen den Impuls auf und gaben die bis heute vielfach bestätigte Formel über das Wesen Rußlands aus: Autokratie – Orthodoxie – Gemeinschaft (Sobornost). Ein wohltuender Patriotismus tritt dem Leser auch in den Katalogtexten, fast alle aus russischer Feder, entgegen. So hat man Alexander Puschkins Worte dem Band programmatisch vorangestellt: „Ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich um nichts in der Welt mein Vaterland eintauschen oder eine andere Geschichte haben möchte als die Geschichte unserer Ahnen, die Gott uns geschenkt hat.“ Bild: Andreassaal im großen Kreml-Palast (Aquarell von 1849) Die Ausstellung „Der Kreml – Gottesruhm und Zarenpracht“ ist noch bis zum 13. September 2004 täglich von 10 bis 20 Uhr im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, zu sehen. Der Katalog kostet 29 Euro. Internet: www.gropiusbau.de

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