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Auf einem Auge blind

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Anfang Mai dieses Jahres im Club Hippodrome in Springfield, US-Staat Massachusetts: Beim Konzert des US-Rappers Curtis Jackson (Künstlername „50 Cent“) kommt es zu einer Massenschlägerei, bei der am Ende sogar scharf geschossen wird. Die Polizei versucht die Vorkommnisse zu rekonstruieren. Bereits zehn Minuten nach Beginn des Konzerts sei Jackson von der Bühne gesprungen, um einen Konzertbesucher zu verprügeln. Dieser, so heißt es später, habe vorher eine Wasserflasche auf die Bühne geworfen. Nachdem Jackson auf den Mann einschlug, habe sich eine regelrechte Gewaltorgie unter den Konzertbesuchern entwickelt. Zwei von ihnen mußten mit schweren Kopfverletzungen, vermutlich durch Glasscherben verursacht, sofort ins nächste Krankenhaus transportiert werden. Draußen sprachen mittlerweile die Pistolen, ein Mann soll bei der Schießerei verletzt worden sein – nur Curtis Jackson selbst ist bereits über alle Berge, als die Polizei endlich eintrifft. Gewalt nimmt großen Raum im Leben des jungen schwarzen ehemaligen Brooklyn-Boxers und bekennenden Ex-Drogendealers Jackson ein. Mittlerweile ist er ein international gefragter Hip-Hop-Künstler, der keinen Hehl aus seiner Gesinnung macht: „Nach Faustkämpfen ist Mündungsfeuer angesagt. Alter, Du kriegst von mir nur das Beste. Wenn Du nicht angeschossen werden willst, solltest Du mich nicht provozieren“, so Jacksons Sprechgesang ins Deutsche übersetzt. Solche Passagen auf Jacksons Album „Get Rich Or Die Trying“ haben wohl eine der 800 berechtigten Stellen in Deutschland so sehr alarmiert, daß sie bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) in Bonn einen Antrag auf Indizierung einreichte. Sämtliche Texte des genannten Tonträgers haben es in sich. Sie verherrlichen Gewalt und glorifizieren Drogen und deren Konsum. Zwischendrin sind immer wieder Schußgeräusche und Pumpgun-Salven zu hören – eigentlich dürfte sich die Frage nach der Jugendgefährdung überhaupt nicht mehr stellen, denkt der Laie. Das Gremium der Bundesprüfstelle belehrt einen allerdings eines besseren. In bester Sozialarbeiteromantik werden die Stücke Jacksons interpretiert, umgedeutet und verharmlost. So liege der Schlüssel zum richtigen Verständnis der rohen Texte nicht zuletzt in der Jugend des Interpreten. „Durch seine Lieder zieht sich daher der durch die bisherige Lebenserfahrung entstandene Haß wie ein roter Faden“, ist in der Entscheidung Nr. 5232 der BPjM nachzulesen. „Der Interpret ’50 Cent'“ heißt es weiter, „definiert seine eigene Zielsetzung als Aufklärung über das Aufwachsen und Leben im Ghetto und die damit zusammenhängenden Umstände.“ Insofern erschließe sich „das Gesamtkunstwerk“, in dem es fast ausschließlich um Waffengewalt und Drogen geht, „als Verarbeitung der dem Interpreten widerfahrenen Lebensumstände, weshalb von einer künstlerischen Gestaltung und Einbettung in eine Gesamtkonzeption ausgegangen werden kann“. Jackson kokettiere nun mal auch gerne „mit seinem Image als Gangster“. Der Hauptgrund für die Nicht-Indizierung ist allerdings weitaus banalerer Natur: Die Textpassagen seien einfach zu unverständlich. Daher würde das Album die „Grenze zur Jugendgefährdung aufgrund der zum zum ganz überwiegenden Teil unverständlichen Sprache nicht überschreiten“, so das Gremium. „Kurz gesagt: 50 Cent wurde verschont, weil er einen für den deutschen Durchschnittsjugendlichen unverständlichen Slang spricht, eine undeutliche Aussprache hat, und weil die Rap-Kultur eine Showkultur ist, in der nicht das gemeint ist, was gesagt wird, ähnlich dem amerikanischen Wrestling.“ So Jacksons Plattenfirma Universal Music in ihrer offiziellen Presseerklärung zum Indizierungsverfahren. Mehr Pech hatte diesbezüglich die deutsche Rechtsrockgruppe Landser. Nicht nur, daß ihnen der Prozeß wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung gemacht wurde (JF berichtete), auch ihre Platten wurden alle von der Bundesprüfstelle im Schnellverfahren indiziert. Vor allem die CD „Ran an den Feind“ (indiziert im März 2001) sei geeignet, „Jugendliche sozialethisch zu desorientieren“. Denn im Gegensatz zu Jacksons CD sei der „Kunstgehalt“ der Landser-Lieder „gering“ – woran dieses Kriterium genau festgemacht wird, erwähnt die Behörde in beiden Fällen nicht. Das Lied „Wieder mal kein Tor für Türkiyemspor“ sei eine „pauschale Verunglimpfung von Türken“ und gehöre deswegen auf den Index, so die BPjM in ihrer Entscheidung Nr. 5961. Die Jugendgefährdung der gesamten CD sei „offensichtlich“. Im Lied „Rock gegen ZOG“ werde „dargelegt, daß man zur Gewalt bereit sei, daß man zur braunen Musikfraktion gehöre und den Sympathisanten ein ‚Heil‘ zudonnere“, heißt es in der Begründung weiter. Keine Rede ist hierbei von einer etwaigen schweren Jugend der Interpreten oder der eventuellen Symbolhaftigkeit ihrer Aussagen. Selbst ein „besonders künstlerisches Konzept“ sei bei Landser „nicht vorhanden“. Eine andere Gruppe, die Mannheimer Formation Brothers Keepers, hat wiederum besonders großes Glück – denn sie wird erst gar nicht von der BPjM behelligt. In ihrem Lied „Adriano“ erklären die Rapper, wie sie denken: „Ich sage K ich sage Z ich sage Nazis rein / Ich will nicht labern, denn ich kenn‘ mein Vaterland / Macht es mich krank wie Masern, dann verspür ich Tatendrang / Ich fühle mich eingeengt und will statt Prominenz / und statt großer Fans Nazis, die wie Poster hängen“. Kurz und knapp erklärt die Bundesprüfstelle, daß gegen die Gruppe kein Antrag auf Indizierung vorliegt. Worin genau der qualitative Unterschied zu den Texten von Landser bestehen soll, konnte von der Prüfstelle niemand beantworten. Man legt Wert auf die Tatsache, daß man keine Zensurbehörde sei. Dabei hat eine Indizierung eine ebenso fatale Wirkung, da indizierte Medien allenfalls noch „unter dem Ladentisch“ verkauft werden können. Ebenso dürfen indizierte Medien nicht im Wege des Versandhandels importiert werden – wichtige Vertriebswege werden also streng unterbunden. Wird dagegen verstoßen, macht sich der Vertreiber strafbar. Die genannten Beispiele lassen aber den Verdacht aufkommen, daß die Indizierungspraxis vor allem politisch motiviert ist. Der schwarze Kriminelle Curtis Jackson, der das Gesetz der Straße in seinen Liedern zum allgemeinen Gesetz erhöht, und die Brothers Keepers, die musikalisch wieder Konzentrationslager für diejenigen errichten, die sie für „Nazis“ halten, sind nach rein objektiven Gesichtspunkten zumindest keinen Deut besser als grölende Rechtsrocker von der Gruppe Landser. So schnell und routiniert, wie die Behörde Rechtsrock-Bands indiziert, so unscharf und nicht nachvollziehbar ist das Nicht-Handeln im Falle von Curtis Jackson alias „50 Cent“. Dort, wo eigentlich Objektivität und Unvoreingenommenheit vorherrschen sollte, scheint längst eine besonders perfide political correctness in Form eines „Jugendschutzes“ das Zepter zu führen. Curtis Jackson alias 50 Cent: Die Texte des Hip-Hop-Sängers verherrlichen Gewalt und glorifizieren Drogen. Ein Beispiel: „Ich werde vorbeifahren und Dir das Hirn wegblasen. Es gibt keinen Weg, mich aufzuhalten … Ich tue, was ich tun muß. Es ist mir egal, ob ich geschnappt werde. Ich werde Dich töten, das ist keine leere Drohung. Ich krieg Dich, wenn Du nicht außpaßt. Ich werd Dich töten“. Weil die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien daran nichts Anstößiges entdecken wollte, lehnte sie einen Antrag auf Indizierung ab. Bei Musik von Rechtsrock-Gruppen ist sie längst nicht so zurückhaltend.

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