Sein Förderer John Coltrane nannte den inzwischen 62jährigen Saxophonisten Pharaoh Sanders einen Mann „von großer geistiger Kraft“. Er versuche, immer zur Wahrheit vorzudringen, und er gestatte seinem „geistigen Ich die Führungsrolle“. Entsprechend groß war und ist die Affinität von Sanders zu Coltrane, die bereits auf seinem ersten großen Wurf, der Einspielung „Karma“ aus dem Jahre 1969, spürbar wurde. Dieses Album zieht die Linien weiter aus, die Coltrane auf seinem Meisterwerk „A love Supreme“ (1964) vorgezeichnet hatte. Das Spiel von Sanders sei, so präzisiert der Musikwissenschaftler Martin Kunzler, „durch Überblastricks, Manipulationen am Mundstück, eine eigene Flatterzungentechnik, schneidende Staccati, dichte Tremoli, Schreie und Singen ins Instrument hinein, Doppeltöne und clusterartige Mehrklänge sowie überraschende Growls (sprech- und tierstimmenhafte Effekte, M.W.)“ gekennzeichnet. Wie Pharaoh (eigentlich Farrell) Sanders diese Elemente umsetzt, davon kann sich der interessierte Hörer auf dem soeben wieder veröffentlichten Mitschnitt „Pharaoh Sanders live“ (Vertrieb ZYX-Music Merenburg) überzeugen, der von Anfang der achtziger Jahre stammt. Auf dieser Quartett-Aufnahme mischen neben Sanders John Hicks am Piano, Walter Booker am Bass und Idris Muhammad am Schlagzeug mit. Die Scheibe besticht durch die melodische Einfachheit, Virtuosität, Klangfarbenbündelungen und Tontrauben sowie eine permanente Modulation des Klanges. Dies wird gleich bei „You’ve got to have Freedom“, das zu den bekanntesten Stücken von Sanders gehört, deutlich, und setzt sich fort bei Stücken wie „Pharomba“ und „Doktor Pitt“, auf denen Sanders die ganze Palette seines Könnens ausspielen kann. Die jazzmusikalische Intensität und die historische Bedeutung dieser (bisher auf CD nicht veröffentlichten) Einspielungen dürfte deshalb nicht nur für Sanders-Enthusiasten von Interesse sein. Gemischte Gefühle treten beim Hören einer anderen neu veröffentlichten CD auf: bei Charlie Byrds 1965 erstmals veröffentlichter Aufnahme „Charlie Byrd with Voices“, die ebenfalls von ZYX-Music vertrieben wird. Ohne Frage handelt es sich bei dem Gitarristen Byrd um einen der großen Meister seines Faches. Die überlegene spanisch-südamerikanische Technik seiner klassischen Gitarre hat ihm einen festen Platz in der Geschichte des Jazz gesichert. Berühmt wurde er bereits Anfang der 1960er Jahre mit einer Tournee durch 16 lateinamerikanische Staaten. Auf der neuen Trio-CD sind neben Byrd noch Keter Betts am Bass und Bill Reichenbach am Schlagzeug zu hören, dazu ein Hintergrundchor, der die Stimmung des erwartungsfrohen Kritikers erheblich eintrübt. Dieser schafft es nämlich, das exzellente Triospiel der Hauptakteure mit einem kitschigen Stimmenteppich regelrecht zu deformieren. Aus heutiger Sicht kann schwer nachvollzogen werden, was Byrd motiviert haben könnte, diese Stimmen zur Untermalung seines Spiels miteinzusetzen. Wie dem auch immer sei: dieses Experiment ist gründlich mißlungen. Hörenswert sind einzig diejenigen Stücke, auf denen besagter Chor pausiert. Gleich der Auftakt, der mit dem Standard „I left my heart in San Francisco“ einsetzt, dürfte bei allen Byrd-Anhängern zu einer nachhaltigen Entgeisterung führen, weil die Stimmen leider nicht, wie angekündigt, „mystisch“, sondern bestenfalls süßlich sind. Daß ein derartiger Fehlgriff ausgerechnet einem ausgeprägten Stilisten wie Byrd unterlief, ist kaum nachvollziehbar. Diese Scheibe dürfte deshalb nur für eingefleischte Byrd-Enthusiasten interessant sein. Bei Jazzgitarren-Puristen wird diese Aufnahme kaum auf eine größere Gegenliebe stoßen.