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Pankraz, Eranos und die Weisheit der schwarzen Schlange

Pankraz, Eranos und die Weisheit der schwarzen Schlange

Pankraz, Eranos und die Weisheit der schwarzen Schlange

 

Pankraz, Eranos und die Weisheit der schwarzen Schlange

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Die Weisheit der Schlange" war das diesjährige Thema der "Eranos"-Gesellschaft in Ascona, jener wunderbaren, seit 1933 bestehenden "fondatione", die einmal im Jahr Mythenforscher, Emblematiker, Psychologen und Biologen zum erlauchten, die Disziplinen übergreifenden Gastmahl, eben zum "Eranos", vereinigt, bei dem nicht nur getrunken und leichthin parliert wird, sondern wo es – bei aller Lockerheit – um ernsteste Gespräche und schwierigste Probleme geht. Koryphäen wie C. G. Jung, Karl Kerényi, Friedrich Georg Jünger, Richard Benz haben das Klima bei "Eranos" geprägt, das Schlangenthema hätte ihnen sicher zugesagt.

An sich gilt die Schlange in der Symbolik faktisch sämtlicher Völker als Inbegriff des Unerleuchteten, Widerspenstigen, ja, schlechthin Bösen, rangiert ganz unten in der Ansehens-Hierarchie, weit unter Ratte, Schwein oder Fledermaus. Ihre allzu große Erdnähe, ihr heimliches Kriechen, ihr Giftzahn, ihr starres Auge und ihr abenteuerlich weit aufreißbares Maul erregen Abscheu und Furcht. Die Begegnung mit Schlangen verheißt Unheil. Wieso dann, wie in Ascona vorausgesetzt, "Weisheit der Schlangen"? Welcher Zynismus hat die Einlader da geritten?

Nun, Mythenforscher wie Biologen wissen es eben besser. Noch nicht einmal zweihundert der zweitausendfünfhundert identifizierten Schlangenarten sind giftig. Schlangen fressen selten und verdauen lange, oft monatelang. Ihre Bewegungen sind elegant und höchst effektiv, sie kommen gut ohne Arme und Beine aus. Ihre Farben und Farbmuster sind attraktiv und geometrisch einwandfrei, und sie sind immer frisch, denn jede Schlange wechselt ihr Kleid mehrmals im Jahr, sie "häutet sich" und bleibt unvergehbar schön.

Was aber die Weisheit im eigentlichen Sinne betrifft, so zeugt schon ihr Blick, der "Schlangenblick", der die Lebewesen erstarren läßt, sie festhält und verfügbar macht, von gewaltiger Weisheitsenergie, die Grauen, aber auch Bewunderung auslöst. Viele alte Helden und Glaubensstifter strebten nach diesem Schlangenblick und trugen die Schlange als Symbol am Helm oder im Schild: der Horusfalke (ägyptischer Sonnengott), der griechische Perseus, hethitische Könige, aztekische Quetzal-Priester.

Die biblische Paradieses-Schlange ist so klug wie Gott selber, und sie "verrät" Gott um der Menschen willen, läßt sie einen Blick in die göttliche Werkstatt werfen und lehrt sie, daß es eine Welt "hinter" der wahrnehmbaren Welt gibt. Das hat im Abendland immer den allergrößten Eindruck gemacht, so wie auch die Geschichte von Moses und Aaron (2. Mose 7, 8 bis 12), wie sie vor dem Pharao erscheinen und den Auszug Israels aus der ägyptischen Gefangenschaft erzwingen.

Um den Pharao weichzumachen, wirft Aaron bekanntlich seinen Stock vor dessen Thron, und der Stock verwandelt sich in eine züngelnde Schlange, die alle Stöcke der Pharao-Priester, die nun ebenfalls vor den Thron geworden werden, sofort verschlingt, so daß der Pharao ganz kleinlaut wird und den Auszug genehmigt.

Überhaupt, wurde in Ascona gefragt, wer war zuerst da, der Stock, der Stab, oder die Schlange? Auch der Stab gilt in fast allen Mythen als Beleg von Weisheit; nur privilegierte Kräfte durften Stäbe tragen, Zauberer und Herrscher, Moses und Aaron, Christus, die heiligen Martialis, Maternus und Patrick. Aber war der Zauberstab nicht einstmals eine Schlange, die sich der Weise dienstbar machte und die sich für ihn streckte und festigte, gegebenenfalls jedoch auch wieder ringelte und züngelte? Der katholische Bischofsstab ringelt und züngelt ja an seinem oberen Ende, er ist tatsächlich das Abbild einer Schlange, gezähmt und zum Haustier gemacht.

Schlangen sind also, so das Resümee der "Eranos"- Teilnehmer, nicht nur allgemeines Symbol des Bösen, sondern sie sind darüber hinaus auch Symbol des gezähmten Bösen. Denn das Böse ist seinem Wesen nach genauso klug wie das Gute (vielleicht sogar noch etwas klüger, da es über die Wonnen des Bösetuns vorab genau Bescheid weiß). Und so kommt es darauf an, sich möglichst schadlos seiner Klugheit zu versichern und es für gute Zwecke einzuspannen.

Immer wieder ist dieses riskante Spiel gespielt worden, sowohl in der politischen Praxis wie auch in der politischen Theorie. Der berühmte "Leviathan" in der Philosophie von Thomas Hobbes am Beginn der europäischen Neuzeit ist ja nichts anderes als jene schreckliche Meeresschlange aus der Bibel, eines der schlimmsten Ungeheuer, die dort vorkommen. Und dennoch kann der Leviathan – wenigstens nach Ansicht von Hobbes – zum größten Segen für einen Staat werden, dann nämlich, wenn ihn die Herrscher mutig in die absolute Macht einsetzen und zum Generalprinzip jeglicher Politik machen.

Ähnlich verhielt es sich, wie in Ascona Erik Hornung zeigte, im alten Ägypten mit der gräßlichen Riesenschlange Apophis, die – so das Weisheitsbuch "Amduat" aus dem Jahre 1500 v. Chr. – jeden Abend die Barke des Sonnengottes umschlang und zum Kentern brachte, mit dem Resultat, daß der Sonnengott sich nach dem Vorbild der Schlange selbst "häutete" und am Morgen strahlender denn je aus dem Desaster wieder aufstieg. Oder war es die Schlange selbst, die sich zum Sonnengott häutete und an den Himmel stieg? Die Texte lassen mancherlei Deutung zu.

So war es denn eine schöne, niemanden mehr überraschende Geste, als der Vorstand der "fondatione" beschloß, "Eranos" ein neues Logo zu geben: den "Uroboros", die Schlange, die sich in den Schwanz beißt und dabei das Sonnenkind umschlingt. Die Erde vermählt sich mit dem Himmel. Bodenhaftung und höchste Weisheit gehören zusammen, bedingen einander, so wie in der chinesischen Überlieferung Yin und Yang einander bedingen, Männliches und Weibliches, weißer Tiger und schwarz schimmernde Schlange.

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