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Pankraz, die Sommerreise und die Jugend in der Politik

Pankraz, die Sommerreise und die Jugend in der Politik

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Die traditionell-offizielle "Sommerreise" des Bundespräsidenten durch deutsche Lande steht heuer ganz im Zeichen des fehlenden Angaschemongs der jungen Generation für die Politik. Parteien und Gewerkschaften, so Johannes Rau klagend und anklagend in seinen sommerlichen Ansprachen von Bremen bis Leipzig, bedürften dringend des Nachwuchses, andernfalls würden sie sich in Kürze in exklusive Altherrenklubs verwandeln, zum Schaden des Landes und der Politik.

Was aber haben Parteien und Gewerkschaften zu bieten, um junge Leute für die Politik zu interessieren? Der Anreiz, daß man hier, in der Politik, etwas Neues, Eigenes, Generations-Spezifisches auf die Beine stellen könnte, ist unter den obwaltenden Umständen gleich null. Die Platzhirsche stehen überall voll im Futter und denken nicht daran, ihre Posten zu räumen. Und sie machen jeden Tag in aufdringlichster Weise klar, daß es außerhalb ihres Einflußbereichs keine irgendwie anders geartete Politik geben darf und folglich auch keine geben wird.

Alles ist strengstens festgelegt und für alle Ewigkeit geregelt: die Verfahren, die Grundüberzeugungen, die Karrierewege, um an die höheren Futterkrippen zu kommen, der Zugang zum Fernsehen, die Sprache, die Schibbolets, die Tabus. Wer etwas umstürzen wollte, wie es junge Leute so gerne tun, bisse auf Granit. Wohl noch nie in der deutschen Geschichte hat es eine derart perfekt nach außen abgeschottete politische Klasse gegeben wie heute.

Ein einziger Blick in die Laufställe für politische Neuzugänge, in die Jugendorganisationen und in die Nachwuchskurse der diversen Parteistiftungen, genügt, um zu erkennen, was da ganz bewußt und planvoll herangezüchtet wird. Es ist eine Truppe von beflissenen Anpassern und Katzbucklern, von "Stiftlergeschmäckchen", die ihre zarten Ohren senkrecht aufgestellt haben, um ja jeden Ton von oben genau mitzubekommen, und die zusätzlich gleich zwei angefeuchtete Zeigefingerchen ununterbrochen in die Luft halten, um auch noch das allerletzte Zeitgeist-Windchen mitzubekommen und zu verinnerlichen.

Künstlich aufgekratztes, pseudo-juveniles Gehabe in den Laufställen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ausläufe und Spielräume ganz eng sind, so daß kaum ein wirklich begabter Junger Lust verspürt, darin seine "Ochsentour" (das Wort spricht Bände) zurückzulegen. Dann lieber Rechtsanwalt eines wirtschaftlichen Syndikats à la John Grisham oder gleich ab "in die Medien". Jeder dritte Schulabgänger, so das Ergebnis einer kürzlichen Infas-Umfrage, möchte am liebsten einen Posten "in den Medien". Und auch die Einschreibungen an den Universitäten beweisen es: Politologie ist out, Medienfakultät ist in.

Nun ließe sich freilich fragen, ob das jugendliche Desinteresse an der Politik wirklich so schlimm ist, wie es der Bundespräsident auf seiner Sommerreise hinstellt. Braucht gute Politik denn überhaupt spezifische Nachwuchskader, Gestalten wie etwa Helmut Kohl, die von frühester Jugend an immer nur in politischen Formationen zugange waren, die nichts anderes als Politik gelernt und gelebt haben und sich eine Existenz ohne Politik gar nicht vorstellen können?

Man darf mit einigem Recht vermuten, daß ein solches Berufspolitikertum dem Gedeihen des Ganzen eher schadet, daß es zu lebensfremden, ineffizienten Gesetzen und Entscheidungen verführt und sowohl Regierungs- als auch Oppositionsgeschäfte à la longue sogar lahmlegt. Es wäre reizvoll, einmal ernsthaft zu untersuchen, ob der soziale und geistige Verfall Deutschlands unter Kohl und Schröder nicht darin eine seiner Hauptursachen hat: in der Verwandlung des Lebens in bloße Politik, exekutiert von Leuten, die alles einzig unter politischen Gesichtspunkten sehen, das heißt unter Gesichtspunkten der Macht, des Machterhalts und der Machtausweitung.

Jeder, der mit qualifizierten jungen Leuten zu tun hat, spürt es immer wieder: Ihrem politischen Desinteresse ist ein gerüttelt Maß von Verachtung beigemengt, sie verachten die gegenwärtigen Politiker, weil sie sie durchschauen, ihren leeren Machttrieb, den sie in ölige Phrasen hüllen, welche regelmäßig schon am nächsten Tag als schlichte Lügen entlarvt werden. Weshalb sollten sie, die Jungen, eine freudlos-strapaziöse Ochsentour auf sich nehmen, an deren Ende nur öde Machtspielchen stehen – und für den, der die Tabus verletzt (siehe Möllemann), ein ausgeleertes Leben, dem nur noch der Tod Würde zu verleihen vermag?

Jürgen Möllemanns Abgang wirkt fast wie ein sarkastischer Kommentar zu den Sommerreden des Bundespräsidenten. Auch dieser FDP-Politiker war ein homo politicus in jenem oben beschriebenen fatalen Sinne, dem von Jugend an Politik und Leben identisch wurden, so daß er sich eine Existenz diesseits oder jenseits der etablierten Politik offenbar gar nicht mehr vorstellen konnte. In vergleichweise jungen Jahren bereits zu hohen Ämtern gekommen, gesalbt mit sämtlichen Tricks und Schlichen, die solche Ämter zur Verfügung stellen, ein "Medienstar" einzig kraft seines politischen Status, sah er nach seinem Ausscheiden nur noch den Abgrund vor sich.

Für einen politischen Neuanfang außerhalb der etablierten Politik, für die Gründung einer jungen, neue Farben ins Spiel bringenden Partei fehlten bei Möllemann alle Voraussetzungen. Er war zu lange im Zentrum des Betriebs dabeigewesen, und dieser Betrieb ist eben – Johannes Rau sei’s geklagt – jugendfeindlich, macht alt vor der Zeit, raubt das Zutrauen in neuartige Perspektiven.

Rein äußerlich betrachtet, hätte man in Hinblick auf Möllemann den Jungen sagen können: "Hier habt Ihr einen von Eurem Stil, hier habt Ihr den Beweis dafür, daß Politik etwas für Junge ist." Aber es war eine Augentäuschung. Und es endete in der Katastrophe. Die Alten in der Berliner Politik werden unter sich bleiben. Nur eine neue, junge Politik brächte auch junge Gesichter.

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