Offiziere: das sind „Achselstücke, die aus sicheren Hintergründen mit Zeißobjektiven den Heldentod bewundern“. Diese Tonart eines militanten Pazifismus glaubt man aus der Weltbühne gut zu kennen. Nachzuweisen ist das Zitat aber nicht bei den Ossietzkys und Tucholskys, sondern bei Hans Leip, der ausgerechnet mit einem Soldatenlied, dem von Lale Andersen gesungenen „Lili Marleen“, zu Weltruhm kam. Wäre dieser Schlager nicht, würde man den Namen Leips dann überhaupt noch nennen? Vielleicht gäbe es schwache Erinnerungen an die einst beliebte Schullektüre, verabfolgt als Reclamheft: „Der Nigger auf Scharnhörn“, oder an das Jugendbuch „Jan Himp und die kleine Brise“, das den Vergleich mit Erich Kästners Werken nicht scheuen muß. Aber nicht mehr an Leips Meisterwerk, den Abenteuerroman „Godekes Knecht“ (1925), den die Kritik auf eine Stufe mit Joseph Conrad stellte, dem er als Sprachschöpfer sogar weit überlegen ist. Leips Sprachkunst, expressionistisch-eigenwillig, hat die „fremde Feder“ Robert Neumann und, mit aggressiverem Unterton, die SS-Meinungspolizei vom Schwarzen Korps zu Parodien provoziert. Kompositionen wie „möwenbezuckerte Hafenanlagen“ und „rispelnder Küssewind“, oder Leips vom Seemanns-Missingsch getränkte Metaphorik, waren ab 1933 geeignet, den Verdacht des „Asphaltliteratentums“ zu nähren. Wie Rüdiger Schütt in seiner opulent ausgestatteten Leip-Biographie dokumentiert, lagen die Geschmacksrichter mit den Totenkopfmützen dabei gar nicht so falsch. Aus deren Perspektive, hätten sie des Autors Lehrjahre nach dem Ersten Weltkrieg so gründlich erforscht wie Schütt, wäre Leip geradewegs literarischen Unterwelten entstiegen. Im Hamburg der Kommunistenaufstände blühte er tatsächlich in einem Milieu, wo Künstlerkneipen und Opiumhöhlen schwer zu unterscheiden waren. In den Nachkriegsumbrüchen etablierte sich eine Kunstszene, die jemand der Hamburg mit Gorch Fock und Ohnesorg-Theater assoziiert, nicht erwartet. In der Auffächerung dieses Milieus, das man heute vornehm „regionale Kultur“ nennt, liegt die Stärke von Schütts Leip-Biographie, der 222 Briefe aus dem immer noch nicht vollständigen Nachlaß beigegeben sind – eine besonders zu würdigende Leistung allein schon wegen der schwer zu lesenden Handschrift des Dichters. In Schütts sozialhistorisch orientierter, konkurrenzloser Erkundung der hanseatischen Literaturszene rahmen der Sektierer und Avantgardist Hans Henny Jahnn und der spätere Präsident der Reichsschrifttumskammer Hans Friedrich Blunck, linke und rechte Autoren der kulturpolitisch aktiven „Hamburger Gruppe“, den Frauenhelden, Ehrgeizling und Opportunisten Leip ein, dessen Texte sich außer durch Sprachmagie durch „absolute Indifferenz“, ihr „Potential an Unbestimmtheit“ auszeichnen, für eine Vereinnahmung nach allen Seiten offen sind. Das erklärt, warum Leip als Expressionist so erfolgreich war wie als „innerer Emigrant“ während der NS-Zeit. Rüdiger Schütt: Dichter gibt es nur im Himmel. Leben und Werk von Hans Leip – Biographie und Briefedition 1893-1963. Dölling und Galitz, Hamburg 2002, 499 Seiten, Abb., 24,80 Euro