D ie Postmoderne hatten wir uns anders vorgestellt: als Zeitalter der Zeichen und Wörter, der frei spielenden Stimulanzen und Simulationen, der Sensationen, Spektakel und Spekulationen, der ungehemmten flutenden Bilder. Gerne hätte man das Ende der Geschichte noch eine Weile länger ausgelebt. Für einen Moment schienen die zweihundert Menschen, die am 11. September 2001 aus den Fenstern des im Einsturz begriffenen World Trade Centers sprangen, jenen Geist zu verkörpern, der den akademischen Diskurs seit Jahren beflügelt: In ihrem Fall wurde die Rede von der ironischen Brechung zwischen kompromißloser Freiheit und hoffnungsloser Geworfenheit Fleisch, hob sich die Schwerkraft im Leichtsinn auf. Dann begriff man, wie grauenhaft real diese Bilder waren, und sie verschwanden von den Fernsehschirmen und den Titelblättern der Zeitschriften. Seither gilt es wieder Bücher zu wälzen, die sich ganz altmodisch mit historischen Zusammenhängen und politischen Systemen auseinandersetzen. Michael Hardt jedenfalls, der zur Jahrtausendwende die viel schickere These vom amorphen „Empire“, einer Macht ohne Grenzen und ohne Zentrum, aufstellte, wußte im JF-Interview wenig zu den Ereignissen der letzten zwei Jahre zu sagen. Immerhin kommt die Geschichtsschreibung des 21. Jahrhunderts in recht poppiger Aufmachung daher und kaschiert ihre Gelehrigkeit mit pfiffigen Titeln. Auch Wissenschaft muß sich eben am Markt behaupten und am Geschmack der Kunden orientieren. Peter Benders „Weltmacht Amerika. Das neue Rom“ überzeugt vor allem durch seine packende Handlung. Keine gehobene Männerzeitschrift dürfte daran vorbeikommen, ihren Lesern diese action-geladene Tour de Force durch zweitausend Jahre Weltgeschichte ans Herz zu legen: Sie liest sich spannender als jeder Krimi und beruht obendrein auf wahren Begebenheiten. Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Imperien sind in der Tat bestechend: von den Elefanten, jenen „Panzern des Altertums“, wie schon so mancher Lateinlehrer zu scherzen pflegte, bis zu dem greisen Senator Marcus Porcius Cato der Ältere, der in schönster Falken-Rhetorik „jede Rede, gleich worüber“ mit der Forderung schloß, „im übrigen sei er der Meinung, Karthago müsse zerstört werden“ – diese Schurkenstadt. Was den Amerikanern der Zweite Weltkrieg war, war den Römern der zweite punische Krieg, ihr Kalter Krieg die Feindschaft mit Makedonien. Und außerhalb der „Asterix“-Comics hätten die aufsässigen Gallier mit ihrem Römerhaß und ihren Sabotageakten zweifellos als „keltische Extremisten“ gegolten. Beide, Rom und die USA, entwickelten in insularer Sicherheit die – bei den einen militärische, bei den anderen wirtschaftliche – Stärke, die den späteren Aufstieg zur Weltmacht möglich machte. Erst als die Meere nicht mehr genügend Schutz zu bieten schienen, traten sie aus ihrer Isolation heraus. Dabei hält Bender sowohl den ersten punischen Krieg als auch das amerikanische Militärengagement in Europa für „vermeidbar“, einer „Neigung zur Hysterie“ entsprungen: „Zwei Staaten wurden zu Weltmächten, weil sie sich gegen Gefahren verteidigten, die sie sich größtenteils nur einbildeten.“ Als intimer Kenner seiner Materie führt Bender souverän von einem Jahrtausend ins andere und zeigt immer wieder auch Unterschiede zwischen den beiden Imperien auf. Sein Gewährsmann für die Antike ist der Grieche Polybios. Für die Gegenwart kann Bender, der den Kalten Krieg als Fernseh-, Rundfunk- und Printjournalist mitverfolgt hat, die Rolle des unbeteiligten, aber nicht unbefangenen Beobachters selber übernehmen. Auch wenn der promovierte Historiker mehrfach betont, nur Vergangenes deuten zu können, sind es die Fragen der Zukunft, die ihn bewegen: Wird es den USA – anders als einst den Römern – gelingen, Empire und Republik zugleich zu sein? Werden die Europäer sich auf das Schicksal ihres antiken Vorreiters Griechenland besinnen und die Chance wahrnehmen, die sich aus ihrer „politisch … weit bessere(n) Lage“ gegenüber der Weltmacht ergibt? „So wenig handlungsfähig sie militärisch und außenpolitisch ist“, urteilt Bender über die Europäische Union, „die Griechen hatten nichts Vergleichbares und konnten es nicht haben, weil die Römer es nicht geduldet hätten.“ Daß sie aus der Geschichte nichts gelernt hätten – dieser Vorwurf trifft nach Benders Lesart die neuzeitlichen Korinther und Karthager mindestens so sehr wie die USA selbst. Jene Unvernünftigen, Uneinsichtigen zögen mutwillig die amerikanische „Erbitterung darüber, daß die konziliante Form der Herrschaft nicht dankbar angenommen worden war“, auf sich. Auch Michael Manns „Die ohnmächtige Supermacht“ unterstellt den Amerikanern ein grundsätzliches Wohlwollen ebenso wie einen grundsätzlichen Widerwillen: Die Rolle der Imperialmacht überfordere sie nicht nur, sondern widerstrebe ihrem ideologischen Selbstverständnis zutiefst. Dabei hält gerade die aus diesem Selbstverständnis erwachsene Anmaßung moralischer Überlegenheit als Legitimation eines „neuen Militarismus“ her. Ideologie im neuzeitlichen Sinn war den Römern fremd, darin sind sich Bender und Mann einig. Dagegen ist der Pragmatismus, der ihre Politik statt dessen bestimmte, durchaus auch eine Konstante der amerikanischen. Die Kolonialreiche der Briten und Belgier, die Mann ebenfalls zum Vergleich heranzieht, konnten langfristig nur bestehen, weil sie weit rücksichtsloser vorgingen als die USA – diese seien von ihrem Wesen her keine kriegerische Nation. Mann hält die Bush-Administration für „weltgeschichtliches Pech“ und sieht eine Kluft zwischen kriegstreiberischer Regierung und friedliebender Bevölkerung. Die meisten Amerikaner glaubten zum Beispiel, ihr Staat wende um die fünfzehn Prozent seines Etats für Entwicklungshilfe auf. Wäre dies tatsächlich so – statt nur 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, von denen ein Drittel nach Israel fließt -, dann würde die Welt die amerikanische Hegemonie viel bereitwilliger hinnehmen, meint Mann. Ein übriges könnten die Europäer tun, indem sie die Uno in ihrer Eigenständigkeit stärken und durch Kapitalflucht die Macht des Dollars stürzen. Ansonsten setzt er seine Hoffnung auf die nächsten Präsidentschaftswahlen. Sein Buch, das sich an „Bürger und Wähler in verschiedenen Ländern“ richtet, schließt mit dem Appell: „Zum Glück sind die Vereinigten Staaten eine Demokratie, und eine politische Lösung bietet sich im November 2004. Jagen wir die neuen Militaristen aus dem Amt.“ Dabei vergißt er allerdings, daß die 1990er Jahre nur im Rückblick als goldene Ära der internationalen Zusammenarbeit, der Friedenssicherung, relativen Stabilität und allseitigen Achtung des Völkerrechts erscheinen. Eine Phase wie jene acht Jahrzehnte von 98 bis 180 n. Chr., die Bender in seiner überaus hilfreichen Chronologie als „glücklichste Epoche“ des Römischen Reiches bezeichnet – „Pflichtbewußte Herrscher übernehmen die Verantwortung für die Bevölkerung der Provinzen; deren Eliten erhalten das römische Bürgerrecht; die römische Herrschaft verliert den Charakter der Fremdherrschaft“ – hat es in der Geschichte des amerikanischen Imperiums nie gegeben. Statt dessen gab es, wie Mann an anderer Stelle durchaus eingesteht, „während der vergangenen zehn Jahre, als die USA Hegemonialmacht waren, … mehr Kriege, Bürgerkriege und Terrorismus als zuvor“. Peter Bender: Weltmacht Amerika – Das neue Rom. Klett-Cotta, Stuttgart 2003, gebunden, 295 Seiten, 19,50 Euro Michael Mann: Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003, 357 Seiten, gebunden, 24,90 Euro