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Der unbequeme Genosse

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Am 29. September 1953 starb der erste Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter (SPD). Obwohl Reuter keinesfalls vergessen ist – in Berlin erinnern unter anderem ein zentraler Platz und ein Kraftwerk an ihn -, tut sich das offizielle Berlin mit dem Gedenken an diese Ausnahmegestalt der deutschen Nachkriegsgeschichte schwer. Die derzeitige CDU-Opposition wollte das Sommer-Nachrichtenloch für sich nutzen, indem sie vorschlug, Reuter zum Ehrenbürger Berlins zu ernennen. Als sie noch zusammen mit der SPD regierte, war ihr das nicht eingefallen. Da war noch unstrittig, daß nur lebenden Persönlichkeiten eine solche Ehrung zuteil werden sollte. Jetzt, mögen sich die kommunalen Größen der CDU gedacht haben, könnte es vielleicht gelingen, die regierende SPD und ihren Koalitionspartner PDS (einst SED) mit dem Vorschlag ein wenig in Verlegenheit zu bringen. Diese kleinkarierte Überlegung wird zwar der historischen Bedeutung Ernst Reuters nicht gerecht, entspricht aber dem Niveau, auf dem auch sonst in der Hauptstadt Politik gemacht wird. Ernst Reuters Leben und Wirken macht es den modernen Zeitgeistreitern aber auch nicht leicht. Er stimmte nur selten mit dem gerade herrschenden Zeitgeist überein. Obwohl aus gutbürgerlichem Hause stammend, schloß er sich den Sozialdemokraten an. Seine anfängliche Kriegsbegeisterung, vor allem weil es gegen die zaristische Despotie ging, litt 1914 unter dem lauten Hurra-Patriotismus der Massen. Mit Lenins Empfehlung kehrte Reuter 1918 zurück 1916 geriet der Soldat verwundet in russische Kriegsgefangenschaft. Er nutzte die Zeit, um Russisch zu lernen. Nach der Revolution kam er in Kontakt mit den Bolschewiki, deren Führer Lenin ihn 1918 zum Kommissar für die neu gegründete Wolgadeutsche Republik ernannte. In dieser Eigenschaft lernte er den Volkskommissar für die Nationalitäten der Sowjetunion, Josef Stalin, kennen. Als Reuter Ende 1918 zum Gründungsparteitag der KPD nach Deutschland zurückkehrte, empfahl ihn Lenin mit den Worten: „Der junge Reuter ist ein brillanter und klarer Kopf, aber ein wenig zu unabhängig.“ Durch sein weiteres politisches Wirken hat Ernst Reuter dieses Urteil bestätigt. In der KPD brachte er es zwar zum Generalsekretär, sah aber bald seinen Verdacht bestätigt, daß der Weltkommunismus sich zum russischen Imperialismus entwickelt. Die Unterwürfigkeit der meisten deutschen Genossen gegenüber der Moskauer Führung stieß ihn ab. Als er sich öffentlich auf die Seite der Moskau-Kritiker stellte, wurde er auf Betreiben Wilhelm Piecks erst als Generalsekretär abgesetzt und danach im Januar 1922 aus der KPD ausgeschlossen. Über die USPD kehrte er zur SPD zurück. Seine Erfahrungen mit dem Bolschewismus haben entscheidend zu seinem antikommunistischen Widerstand in Berlin nach 1945 beigetragen. Ernst Reuter blieb zeitlebens „ein wenig zu unabhängig“, sowohl in seinem parteipolitischen Engagement als auch gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht, der „der durch die NS-Vergangenheit unbelastete Reuter … zu oft zu selbstbewußt gegenübergetreten war,“ wie der Leiter des Landesarchivs Berlin, Jürgen Wetzel, in einer biographischen Skizze im Katalog einer kleinen Ausstellung über Reuters Wirken nach dem Krieg schreibt. Die Ausstellung wird bis Ende Oktober im Berliner Roten Rathaus gezeigt. Die charismatische Persönlichkeit Reuters, die sich in der zerstörten Stadt, bei der gewaltsamen Spaltung, in der Blockade und bei der Einrichtung der Luftbrücke bewährte, kommt in den Fotos recht gut zur Geltung. Ernst Reuter schuf damals die Voraussetzungen dafür, daß West-Berlin vierzig Jahre lang dem kommunistischen Druck standhalten konnte. Es ging 1990 in dem wiedervereinigten Deutschland auf, an das Reuter immer geglaubt und für das er sich eingesetzt hat. Das unterschied ihn von einem seiner Nachfolger in Amt, Walter Momper, der bei der Eröffnung der Ausstellung schweigend dem jetzigen Regierenden Bürgermeister Wowereit lauschte, als dieser Reuters Beitrag zur Wiedervereinigung herausstellte. Zum Schluß der Veranstaltung bemächtigte sich ein „ausländischer Mitbürger“ des Mikrofons, der nicht verstehen konnte, daß Ernst Reuter noch immer nicht Ehrenbürger Berlins ist. Ihm mußte man erklären, daß eine derartige Würdigung Reuters durch seine Epigonen in Wahrheit eine Herabwürdigung wäre.

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