Ist angesichts der Aufmachung einer CD, die ihr Objekt in 19 verschiedenen Posen bringt – genauer: den Pianisten Yundi Li neunzehnmal zum Affen macht – und ist angesichts eines Beihefts, das darüber hinaus lediglich einen breitgewalzten Werbeartikel enthält, überhaupt von einem seriösen Auftritt zu sprechen? Eigentlich nicht, sollte man meinen. Bereits zwei Wochen nach der Veröffentlichung bekommt das Album „Yundi Li: Chopin“ in Hongkong Platin, steht auf Platz sechs der Bestsellerlisten, wird der junge chinesische Pianist in Japan wie ein Popstar verehrt, um den – glaubt man der Presseverlautbarung von Universal Classics – sich Tausende bei Signierstunden drängeln und die Mädchen kreischen. Der, um den die Mädchen kreischen, ist nicht nur einer der jüngsten Gewinner in der Geschichte des Warschauer Chopin-Wettbewerbs, sondern auch derjenige, an den im Oktober 2000 erstmals nach 15 Jahren wieder ein erster Preis vergeben wurde. Ein seriöses Debüt? Eigentlich doch, sollte man meinen. Das Programm, welches der jetzige Student der Hochschule für Musik und Theater Hannover und Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon für sein erstes Album zusammenstellte, bleibt dem brillanten, dem verträumten Chopin verhaftet, ohne daß aufklänge, was Chopins Brillanz bezweckt, was seine Träume vorausahnen. Der h-moll-Sonate op. 58 folgen die Grande Polonaise Es-Dur mit vorangehendem Andante spianato G-Dur op. 22, drei Etüden aus op. 10, zwei Nocturnes aus op. 9, ein Nocturne aus op. 15, jeweils aus ihren kompositorischen Zusammenhängen herausgerissen, und zum Schluß das Fantasie-Impromptu in cis-moll op. posth. Das dramaturgische Konzept, so es eines zu endecken gilt, heißt einzig und allein: Yun Li. Macht es immer wieder erstaunen, wie viel von der Persönlichkeit ihrer Interpreten die Musik Chopins unbeschadet in sich einläßt, so macht hier einmal mehr erstaunen, daß sie auch ohne ausgeprägte Interpretenpersönlichkeit glattzulaufen scheint. Yundi Lis gänzlich unaggressiver Stil bleibt weitgehend ichbezogen, doch wagt sich das Ich des Interpreten nicht weiter hinter dem Rücken des Interpretierten hervor, als es einem zwanzigjährigen Popstar opportun erscheinen mag, dem keine „graue Stunde“ geschlagen und dem Polen und seine Kämpfe nie verloren gegangen sind. Immer halten sich Tempi Rubati und gehaltener Takt höflich die Balance. Keine Spur grollend, sondern recht gutmütig grummeln zum Seitenthema des Kopfsatzes der Klaviersonate die Sechzehntelläufe in der linken Hand. Und in der Etüde in a-moll op. 25 Nr. 11 droht der heroische Marsch unter dem sich vordrängelnden, wetternden Figurationslametta in der rechten Hand begraben zu werden, als müsse der verkaufsfördernde Verlagstitel „Winterwind“ noch nachträglich ins Recht gesetzt werden. Am 26. Dezember 1830 schreibt Chopin aus Wien an den Jugendfreund Jan Matuszynski nach Polen: „Alle die Diners, Abende, Konzerte, Bälle, die mir zum Halse heraushängen, langweilen mich: so wehmütig, dumpf, düster ist es mir ums Herz. Ich liebe das, doch nicht in so grausamer Art. Ich kann nicht tun und lassen, was mir gefällt, ich muß mich putzen, frisieren, chaussieren; im Salon spiele ich den Ruhigen, doch wenn ich heimgekehrt bin, donnere ich auf dem Klavier.“ Yundi Li entpersönlicht Chopin und holt ihn heim. Er bringt Chopins Blumen zum Blühen und die Kanonen, die sich unter den Blumen verbergen, zum Schweigen. Ein Donnern auf dem Klavier könnte ja die „Groupies“ verschrecken!