Manchmal ist das bloße Überleben schon ein Erfolg. Vor zehn Jahren, am 14. Dezember 1990, wurde mitten in Berlin eine Bibliothek eröffnet, deren Ziel es war, im wiedervereinigten Deutschland die Erinnerung an den Stalinismus, seine bleibenden Folgen und vor allem an seine menschlichen Opfer wachzuhalten. Wolfgang Leonhard, der unermüdliche Erforscher des Kommunismus, hielt damals den Eröffnungsvortrag. Ihm folgten mehr als 300 weitere Vorträge, Buchpräsentationen und Ausstellungen erst am Hausvogteiplatz, später in dem zentral gelegenen Haus am Nikolaikirchplatz, wo mit etwa 7.000 Bänden auf rund 200 Quadratmetern Fläche inzwischen eine Fachbibliothek entstanden ist, die sich sehen lassen kann. Hier findet man Literatur zu allen Facetten des Stalinismus – in der Sowjetunion ebenso wie in den Satellitenstaaten und vor allem in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschland, der späteren DDR.
Das alles klingt selbstverständlicher, als es leider ist. In den Worten der Erinnerung auf der Jubiläumsveranstaltung am 14. Dezember kamen die Vorsitzende des Trägervereins, Ursula Popiolek, aber auch der bereits an der Gründung beteiligte Schriftsteller Siegmar Faust und andere immer wieder auf die durchaus leidvolle Geschichte des Hauses zu sprechen. Sich mit dem Stalinismus und seinen vielen auch heute noch spürbaren Folgen zu beschäftigen, gilt nicht überall als politisch-korrekt. Es könnte ja die antifaschistischen Leistung dieses Systems relativieren und die politische Legitimation seiner noch aktiven Nachfahren im "Kampf gegen Rechts" in Frage stellen! So fehlte es in den vergangenen zehn Jahren nicht an Versuchen, diese von überlebenden Opfern des Stalinismus getragene Bürgerinitiative zu vernichten – bis hin zu Einbruch und Brandanschlag.
Die Gedenkbibliothek hat das alles überlebt. Sie ist inzwischen institutionell gefestigt, arbeitet in frisch renovierten Räumen und erfreut sich auch wieder einer gewissen staatlichen Förderung. Die Finanzlage scheint sich dank der Opferbereitschaft vieler Spender gebessert zu haben, wenn auch der Boden immer noch schwankt. Was die hier tätigen Idealisten vor allem brauchen, ist Beachtung und Anerkennung in der Öffentlichkeit. Leichter gesagt als getan, wenn der Zeitgeist zwar entschlossen ist, angebliche oder wirkliche "rechte" totalitäre Erscheinungen zu bekämpfen, aber dafür auf dem linken Auge zur totalen Erblindung neigt.
Diesem Zeitgeist stemmt sich auch die Ausstellung "Workuta – Vergessene Opfer" entgegen, die bis März 2001 in der Gedenkbibliothek zu sehen ist. Sie wurde von dem Hamburger Journalisten Horst Schüler zusammengestellt, der selbst aus politischen Gründen in diesem sowjetischen Zwangsarbeitslager inhaftiert war und heute als Sprecher der Lagergemeinschaft dafür sorgt, daß die Leiden der vielen tausend Männer und Frauen in der sibirischen Einöde und vor allem die vielen Todesopfer nicht in Vergessenheit geraten. Mit zahlreichen Zeichnungen und sogar Fotos von einst und jetzt ist ihm das in eindrucksvoller Weise gelungen.
Der eingetragene und gemeinnützige Verein Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus will sich im elften Jahr seiner Existenz besonders dem frühen Widerstand in der SBZ/DDR widmen. Auch dabei wird es ihm nicht an Feinden fehlen. Seinen Freunden und Helfern darf man auch weiterhin Mut, gute Nerven und viel Erfolg wünschen.
Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus. Mit der ständigen Ausstellung der Hilfsaktion Märtyrerkirche zur Christenverfolgung im 20. Jahrhundert, Nikolaikirchplatz 5–7, 10178 Berlin, Tel. 030 / 2 83 43 27. Öffnungszeiten: Di. bis Do. 10–18 Uhr.