Harald Schmidt hat jüngst in einem Interview in TV Today – zu seinem Jugendidol Dieter Hildebrandt befragt – gestanden, dieser sei „der Letzte, der das moralische Banner trägt“, aber es schmerze ihn sehr, „was derzeit mit ihm im ‚Scheibenwischer‘ passiert“. Diese Schmerzen teilt Schmidt inzwischen nicht nur mit vielen Fernsehzuschauern, sondern auch mit der Rathausfraktion der Wiesbadener CDU, die eine „kleine Zwischenfrage“ Hildebrandts aus seiner ARD-Sendung „Scheibenwischer“ in der Stadtverordnetenversammlung am 17. Mai auf die Tagesordnung setzen ließ. In der Sendung hatte der Kabarettist den Fall des Kurden Abdulcabbar Akyüz aufgegriffen, der nach seiner Abschiebung als abgelehnter Asylbewerber Mitte 1998 im Januar 1999 erneut illegal in die Bundesrepublik Deutschland einreiste, und einen Monat später – trotz massiver Proteste der einschlägigen Organisationen und Verbände – erneut in seine Heimat verbracht wurde. Zwar hatte der Asylbewerber angegeben, in der Türkei gefoltert worden zu sein, aber diese Aussagen wurden von den Richtern als nicht glaubwürdig eingestuft. Nun sollen auch seine Ehefrau nebst einer weiteren Verwandten und die neun Kinder der Familie, nachdem deren Anträge auf politisches Asyl in über dreißig Verfahren abgelehnt wurden, abgeschoben werden. Seitdem ist die gesamte Familie untergetaucht. Hildebrandt kommentierte diese Geschichte in seinem „Scheibenwischer“ mit den Worten: „Was für Menschen sind das eigentlich in der Ausländerbehörde Wiesbaden, die einen Kurden, der schon zweimal halb tot der Folter der Türkei entkommen ist, … wieder verhaftet hat und ein drittes Mal hingeschickt hat und dann nachher noch Frauen und Kinder nachgeschickt hat? Wollen diese Damen und Herren vielleicht nachträglich in die SS eintreten, oder gehören sie zu den Leuten, die, ohne geprügelt zu werden, immer laut schreien, sie wären stolz darauf Deutsche zu sein?“ Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der nun für die Beschlüsse des Wiesbadener Verwaltungsgerichts und die Maßnahmen der Ausländerbehörde wahrlich nicht verantwortlich ist, wurde in einem Aufwasch gleich mit abgewatscht: „Der jedenfalls“, so wörtlich der wüste Kabarettist, „bekommt dafür seine erste Kochmütze, und der türkische Geheimdienst wird ihm demnächst den Goldenen Folterknecht überreichen – am Bande, am Bande. Ich gratuliere!“ Tatsächlich hatte der kurdische Asylbewerber den Foltervorwurf jahrelang überhaupt nicht, sondern erst in seinen letzten Anhörungen erhoben. Zudem erschien dem Gericht die gesamte Darstellung des Mannes höchst unglaubwürdig, nachdem er sich mehrfach in Widersprüche verwickelt hatte und von den behaupteten Folterungen keinerlei Spuren feststellbar waren. Daher verlangte die CDU , daß sich alle im Rathaus vertretenen Parteien schützend vor die Mitarbeiter der Wiesbadener Ausländerbehörde stellen sollten, da diese nach einwandfreien rechtsstaatlichen Kriterien gehandelt hätten. Hildebrandts Vergleich mit der SS sei nicht nur eine „ehrenrührige Beleidigung der Mitarbeiter“, sondern verharmlose auch das Dritte Reich und beleidige die Opfer des Holocaust. SPD und Grüne, die in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung die Mehrheit stellen, lehnten jedoch den CDU-Antrag ab, die Stadt solle sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen die „Verleumdungen“ und „Beleidigungen“ Hildebrandts zur Wehr setzen. Dessen Äußerungen seien von der „Meinungs- und Kunstfreiheit des Grundgesetzes“ geschützt. Nun will Oberbürgermeister Diehl (CDU) auch gegen den Willen von Rot-Grün strafrechtlich gegen den Kabarettisten vorgehen. Wie immer man dazu und zu der Problematik, wo die Grenzen einer Satire liegen, stehen mag, im Ton vergriffen hat sich Dieter Hildebrandt hier allemal. Festzustellen ist aber vor allem, daß Hildebrandt, einst die Ikone des deutschen Kabaretts, intellektuell in einem Maß abgebaut hat, daß die Verantwortlichen in der ARD zu der Erkenntnis kommen sollten, daß sein „Scheibenwischer“ schon seit langem nicht mehr für klare Sicht sorgt.