Kreuzzüge gegen Luzifer
„Tötet sie alle, Gott wird die Seinen schon herausfinden“: Der Befehl des Erzabts Arnold von Citeaux läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Am 21. Juli 1209 wird die Stadt Béziers im französischen Languedoc dem Erdboden gleichgemacht. 20.000 Einwohner – Ketzer und Katholiken, Männer, Frauen, Greise und Kinder – sterben unter den Schwerthieben der Kreuzzügler, in deren Schlepptau der Abschaum halb Europas plündernd und sengend durch die Stadt zieht. Es ist der erste blutige Höhepunkt eines Vernichtungsfeldzugs der römischen Kirche gegen Glaubensabweichler, die Katharer.Der Ketzerei wird diese vor allem in Südfrankreich verbreitete religiöse Bewegung nicht zu Unrecht verdächtigt, ist doch die Quintessenz ihrer Lehre, daß die irdische Welt nicht von Gott geschaffen sein kann. Gott – so glauben sie – ist Geist, ewig, unveränderlich und vollkommen. Die irdische Welt und mit ihr der Mensch ist jedoch unvollkommen. Unvollkommenes kann aber nicht von Vollkommenem verursacht sein. Mit dieser Überzeugung müssen sie zwangsläufig bei den Vertretern des Kreuzes anecken. Besiegelt ist der Untergang der Katharer, als sich der päpstliche Wille, den „rechten Glauben“ mit allen Mitteln durchzusetzen, mit den Ambitionen des französischen Königs vereint, dessen gieriger Blick auf den Wohlstand des von der Krone unabhängigen Südfrankreichs gefallen ist. Offiziell ist das Ziel erreicht, als im März 1244 das letzte größere Katharer-Kontingent auf der abgelegenen Pyrenäen-Festung Montségur nach fast einjähriger Belagerung kapituliert. Vier der Belagerten sind in der Nacht zuvor mit einer waghalsigen Fluchtaktion entkommen, in ihrem Gepäck haben sie einen „Schatz“ nicht-materieller Natur, den sie in Sicherheit bringen. Dieser Schatz soll später zum Hebel zahlreicher Spekulationen werden…
Luzifer an Gießener Gymnasium
Wenn der Religionslehrer seines Gießener Gymnasiums von den Katharern erzählte, hörte ein Schüler ganz besonders aufmerksam zu: Otto Rahn. Der Name dieses 1904 geborenen Schriftstellers ist heutzutage wenig bekannt, und doch ist er untrennbar verbunden mit den Katharern, dem Objekt seiner wissenschaftlichen Leidenschaft. Spätestens Ende der 20er Jahre hat sich Rahn die Katharer-Forschung endgültig zur Lebensaufgabe gemacht. In Archiven und Bibliotheken zu sitzen, reicht ihm nicht, er will es genau wissen. Deshalb betreibt er umfangreiche Recherchen im Gebiet um Montségur, bevor er Ende 1932 wegen eines geschäftlichen Fiaskos Frankreich verlassen muß. Rahn hat sich in den Kopf gesetzt zu beweisen, daß die Katharerfestung Montségur die Gralsburg aus Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ ist. Das Buch, in dem er seine Forschungsergebnisse ausbreitet, nennt er „Kreuzzug gegen den Gral“. Es erscheint im Herbst 1933 und ist ein Werk mit wissenschaftlichem Anspruch. Detailliert beschreibt Otto Rahn Geschichte und Gedankengut seiner geliebten Ketzerbewegung, fügt einen umfangreichen Fußnotenapparat und eine beachtliche Literaturliste an. Aufgrund seiner profunden Wissensbasis bringt er Dinge ans Licht, die heute gern ignoriert werden. So geht die moderne Forschung davon aus, daß die Lehre der Katharer ihre Ursprünge auf dem Balkan hatte. Rahn aber weist autochthone Traditionslinien nach, zeigt Parallelen auf zum religiösen Denken der keltisch-iberischen Bevölkerung, zum heidnischen Glauben der Druiden. Zahlreiche Belege kann er dafür anführen, daß das von den Katharern auf die Spitze getriebene dualistische Denken im nordwestlichen Mittelmeerraum schon immer eine große Rolle gespielt hat. 1935 wird Karl Maria Wiligut, der „Rasputin Himmlers“, auf den in permanenten Geldnöten steckenden Rahn aufmerksam. Nachdem er den „Kreuzzug“ verschlungen hat, macht er Himmler darauf aufmerksam, dieser gibt sofort den Auftrag, Rahn nach Berlin zu holen. Damit beginnt die „NS-Karriere“ des Katharerforschers. Im Frühjahr 1936 wird Rahn in die SS aufgenommen, Himmler holt ihn in seinen persönlichen Stab. Eines seiner Arbeitsgebiete ist, Himmler bei seiner Ahnenforschung zu unterstützen. Daneben arbeitet er an einem neuen Buch. Mit dem Titel „Luzifers Hofgesind“ erscheint es im April 1937. Ganz im Gegensatz zu seinem wissenschaftlich-trockenen Erstling ist dieses Buch eine flott und kurzweilig geschriebene Spurensuche, die in die Form einer Reisegeschichte gekleidet ist. Es basiert auf den Tagebuchblättern des Autors und vermittelt dasselbe etwas erweiterte Thema auf ganz lebendige Art. Sein Motiv verhehlt er nicht: „Meine Urahnen sind Heiden gewesen, und meine Ahnen waren Ketzer. Zu ihrer Rechtfertigung sammle ich die Brocken, die Rom übriggelassen hat.“ Auf seiner Sammeltour nimmt Rahn den Leser durch halb Europa mit, läßt ihn teilhaben an seinen Erlebnissen, Gesprächen, Beobachtungen und Empfindungen. Und an den Überlegungen, zu denen ihn seine jeweiligen Reiseziele inspirieren. In ihrer Gesamtheit ergeben die historischen Exkurse einen fundierten, wenn auch in diesem Buch nicht wissenschaftlich untermauerten Einblick in die Heiden- und Ketzergeschichte Europas. „Luzifer“ ist bei Rahn übrigens nicht der Teufel, sondern der Lichtbringer, die lichte Gottheit.Doch schon kurze Zeit nach dieser Veröffentlichung folgt der Karriereknick. Im August 1937 wird Rahn in einem Verfahren schwer belastet, man wirft ihm ehrenrühriges Verhalten, sprich: Homosexualität vor. Himmlers Gunst ist weg, auch eine geplante Scheinehe bringt nicht den gewünschten Effekt. Zunächst zu den SS-Herbstübungen eingezogen, wird Rahn im November 1938 zum Wachdienst ins Konzentrationslager Buchenwald beordert, das wegen der Verhaftungen im Zusammenhang mit der Reichskristallnacht über 20.000 Insassen hat. Das war wohl zuviel für den von Zeitgenossen als liebenswürdig, nervös und übersensibel beschriebenen Schriftsteller, im März 1939 scheidet er auf eigenen Wunsch aus der SS aus. Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus scheint Otto Rahn sowieso recht pragmatisch gesehen zu haben, vor seinen ersten Kontakten zu Würdenträgern der Partei äußert er sogar harsche Kritik. Einem französischen Freund schreibt er am Jahresende 1934: „Es ist für einen toleranten und großzügig denkenden Menschen unmöglich geworden, sich in dem Land aufzuhalten, zu dem mein eigentlich so schönes Vaterland geworden ist.“
Den Kriegsbeginn erlebt Rahn nicht mehr, am 11. Mai 1939 wird seine Leiche in einem Wald bei Söll in Tirol gefunden, Todesursache: Selbstmord. Offensichtlich wurde er in den Selbstmord getrieben, wobei seine Homosexualität nur der vorgeschobene Grund war. Im Hintergrund standen machtpolitische Ränkespiele, mit denen Bormann versuchte, Himmler auszuspielen. Himmler benutzte Rahn als „Bauernopfer“. Das Buch aus dem in Thüringen ansässigen Arun-Verlag schließt eine Lücke.
Quasi als literarisches Überraschungsei enthält es die beiden grundlegenden Werke des Autors, voran geht eine von Herausgeber Hans-Jürgen Lange verfaßte biographische Studie, die das Leben des Katharerforschers erhellt und auch mit vielen hanebüchenen Legenden um Otto Rahn aufräumt, die nach Kriegsende vor allem in Frankreich kursierten. Enthalten ist ebenfalls eine umfangreiche Dokumentation des Rahn’schen Briefwechsels. So solide sich der Biograph in die Thematik eingearbeitet hat, so schmerzlich registriert der Rezensent die Beschränkung auf Ereignis- und Wirkungsgeschichte. Der Mut zu etwas mehr „Werkinterpretation“ wäre gewiß belohnt worden. Otto Rahn: Leben & Werk, darin enthalten: Kreuzug gegen den Gral, Luzifers Hofgesind, hg. von Hans-Jürgen Lange, Arun-Verlag, Engerda 1996, 281 Seiten, geb., 68 Mark