Karma ist nicht nur eine Bitch, sondern auch eine große Meisterin der Ironie. Diese schmerzliche Erfahrung mußte in dieser Woche auch einer machen, dem es viele wohl gönnen werden, wie kaum einem Zweiten. Jan Böhmermann ist mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot weiterer Passagen seines Schmähgedichts über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan gescheitert. In dem entsprechenden Beschluß des Bundesverfassungsgerichts hieß es: „Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.“
Eine weitere Begründung lieferte das Gericht in Karlsruhe nicht. Genau das müßte aber genaugenommen, und hier kommt die bittersüße Ironie bei der Sache ins Spiel, eigentlich ganz im Sinne des öffentlich-rechtlichen Staats-Satirikers sein. Böhmermann hatte sich in der Vergangenheit immer wieder offen für eine Zensur, ja sogar „Überzensierung“ von ihm unliebsamen Personen ausgesprochen. So kritisierte er zum Beispiel seinen ZDF-Kollegen Markus Lanz auf das Schärfste dafür, daß der in seiner Talkshow auch Wissenschaftler zu Wort kommen läßt, deren Meinung zu den sogenannten Corona-Schutzmaßnahmen von der Haltung der Bundesregierung abweicht.
Ein Jahrzehnt der „Überzensierung“
Auch machte sich, der in seinen Äußerungen auch im Internet selbst nicht gerade zimperliche Vieltwitterer, immer wieder stark für die Verbannung vermeintlicher Haßrede aus den Sozialen Netzwerken. Fast auf den Tag genau (Hallo, Karma!) ein Jahr vor der jetzigen Entscheidung aus Karlsruhe, schrieb Böhmermann auf Twitter: „Nach einem Jahrzehnt der ‘Unterzensierung’ können wir jetzt ja mal ein Jahrzehnt der ‘Überzensierung’ in sozialen Netzwerken ausprobieren!“
Nach einem Jahrzehnt der „Unterzensierung“ können wir jetzt ja mal ein Jahrzehnt der „Überzensierung“ in sozialen Netzwerken ausprobieren!
Und danach schauen wir, in welchem Jahrzehnt weniger Parlamente gestürmt und extremistisch motivierte Terroranschläge verübt wurden!
🤝
— Jan Böhmermann 😷🦠🤨 (@janboehm) January 9, 2021
Das Verfassungsgericht nahm ihn jetzt also quasi indirekt beim Wort. Als bedingungsloser Meinungsfreiheitsfundamentalist lehne ich jede Beschneidung der Meinungsfreiheit zwar grundsätzlich erst einmal ab. Als bekennender Anhänger von Zynismus als Haltung, der ich ebenfalls bin, komme ich in diesem speziellen Fall allerdings nicht darum herum, dem Schicksal und seinen irdischen Entscheidungsträgern ein gehöriges Maß an Anerkennung für diese Meisterleistung in Sachen Timing und Didaktik entgegenzubringen.
Adele bekennt sich als stolze Frau
Die Popsängerin Adele hat wieder einmal den Unmut der „Woke“-Bubble im Netz auf sich gezogen. Diesmal geht es nicht um „kulturelle Aneignung“, wie sie ihr von den „Woken“ in der Vergangenheit auf Grund einer von ihr getragenen „afrikanischen Frisur“ vorgeworfen wurde, sondern schlicht darum, daß sie gerne eine Frau ist. Dazu bekannte sich die britische Künstlerin nämlich bei der jüngsten Verleihung der Brit Awards.
Diese wurden in diesem Jahr ganz im Geiste des ach so wachen linksliberalen Identitätskampfes erstmals in „genderneutralen“ Kategorien vergeben. Damit sollte also nun sehr konkret genau das passieren, was die bösen Hetzer von rechts – und Feministinnen der alten Schule, die (ob sie das nun wollen oder nicht) mittlerweile zu der Gruppe dieser politischen und gesellschaftlichen Außenseiter gehören – stets vorgeworfen wird: die alten (realen) Geschlechter sollen zugunsten der neuen freiwählbaren „Geschlechter-Identitäten“ unsichtbar gemacht werden. Und dann kommt diese stolze Frau und macht alles kaputt!
In ihrer Dankesrede in der Londoner O2-Arena sagte die mit dem Musikpreis ausgezeichnete Interpretin, sie könne die Namensänderung der Kategorien zwar verstehen, aber sie liebe es trotzdem eine Frau und Künstlerin zu sein: „Ich bin wirklich stolz auf uns.“ Sofort war die Transgender-Blase auf 180 und überzog die „Cis-Frau“ mit einem toxisch vielgeschlechtlichen Shitstorm. Damit dürfte die Bewegung zumindest ein klares Signal gesetzt haben. In Zukunft sollten es sich Frauen lieber zweimal überlegen, bevor sie öffentlich ihre Meinung kundtun – „Transplaining“.
Sonderweg am Rest der Welt vorbei
Bundescoronaminister Karl Lauterbach stemmt sich noch immer mit aller Kraft gegen eine Rückkehr zur Normalität. Dabei stellt sich immer mehr die Frage, ob es dem langjährigen Hinterbänkler tatsächlich um die Bekämpfung des Virus geht oder ob er nicht vielleicht doch viel mehr verzweifelt gegen den ihm in diesem Fall drohenden tiefen Fall zurück in die Bedeutungslosigkeit vorgeht. Große Teile Europas und der Rest der Welt sind jedenfalls längst abgerückt von fast allem, was der SPD-Gesundheitspolitiker uns als Binsenweisheiten in der angeblichen Pandemie-Bekämpfung verkaufen will.
Das Verstörende dabei ist vor allem, neben Lauterbachs immer apokalyptischer klingenden Prognosen, daß sich der Minister bei der deutschen Bevölkerung noch immer so großer Beliebtheit erfreut. Regelmäßig nimmt er in Umfragen die Spitzenplätze der politischen Popularität-Rankings ein. Auch das Vertrauen seiner nicht selten extrem fanatischen Jünger in den sozialen Netzwerken scheint, wenn überhaupt, bisher nur minimal zu bröckeln. Die Deutschen scheinen einen schier unumstürzlichen Willen dazu zu besitzen, den Rest der Welt um sie herum einfach auszublenden.
Aber nicht nur das. Selbst wenn es ihnen spürbar an die eigene Existenz geht – sie immer weiter in Kurzarbeit verweilen müssen oder mit ansehen müssen, wie selbst Traditionsunternehmen, die zwei Weltkriege überlebt haben, reihenweise pleite gehen – bringt das viele noch immer nicht dazu, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und den zunehmend einsamer werdenden Sonderweg ihrer eigenen Regierung und ihres Lieblingsministers in Frage zu stellen. Ihre Staatsgläubigkeit scheint die Bundesbürger ganz generell gegen jegliche Rationalität immun zu machen.
Standortnachteile
Der Begriff „Standortnachteil“ kommt im Sprachschatz vieler von ihnen offenbar gar nicht mehr vor. Sei es der Standortnachteil, der für Deutschland logischerweise durch jeden Tag größer wird, den wir länger im Corona-Stopmodus verweilen als andere Staaten; oder auch der durch die katastrophale ideologiegetriebene Energiepolitik der sehr grün geprägten Ampel-Koalition. Die berüchtigte „German Angst“ scheint eine sehr selektive zu sein. Legen große Teile des deutschen Volkes gegenüber den genannten und etlichen anderen Gefahren, die sie schon eher heute als morgen direkt betreffen könnten, doch eine erstaunliche Gelassenheit an den Tag. Ihre einzige wirkliche Sorge ist ganz offensichtlich die von oben vorgegebene Sorge vor dem Virus.
„Die Regierung, die Regierung, die hat immer recht“, scheint das lauterbach’sche Panik-Orchester frei nach der alten Lobeshymne der SED zu singen – der Inflation und allen Warnungen aus der Wirtschaft zum Trotz. Die Deutschen leben, auch und gerade in der Krise, noch immer ihren alten Traum vom Vollkasko-Staat. Für diesen Traum sind viele bereit, sehr viel wenn nicht alles, was ihre Regierung verbockt und verbricht, mitzutragen. Zumindest solange, bis irgendwann das böse Erwachen kommt. Dann könnte es allerdings sehr bitter werden für die Gehorsamen. Die Krise akzeptiert keine Ausreden. Sollte sie tatsächlich so einschlagen, wie viele Beobachter es vermuten, war es das erstmal mit „einem der reichsten Länder der Welt“.
Natürlich nicht für einige elitäre Krisengewinnler, von denen ich an Stelle des deutschen Michels und Otto Normalverbrauchers allerdings nicht allzu viel Hilfe erwarten würde. Warum auch? Es wäre nicht das erste Mal, daß aus einem hörigen Volk ein hungerndes Volk wird. Da muß man auch kein Mitleid haben. Das ist der natürliche und gerechte Verlauf der Geschichte. Schuld und Verantwortung kann man vielleicht von sich wegschieben. Die Konsequenzen des eigenen Handelns oder auch Nicht-Handelns aber nicht.