Zugegeben, ja: Ich habe auch meine quietistische Ader. Und wenn ich abends tatsächlich mal Muße habe, die – wie Wladimir Sorokin das Fernseh mal so schön genannt hat – „Laterne der Dummen“ einzuschalten, dann ist linksverkopfter und problemüberfrachteter „Tatort“-Sozialquark mit Ulrike Folkerts als dilettierender Ludwigshafener Kampflesbe „Lena Odenthal“ oder Problem-Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt als Kölner Gerechtigkeitspriester „Schenk und Ballauf“ so ziemlich das letzte, was ich mir antun möchte.
Dann doch lieber mal im Vorabendprogramm bei den „Rosenheim-Cops“ reingeschaut. Gekonnte Titelmusik vom Linksbajuwaren Haindling, in der einrahmenden Vorabendwerbung beruhigende Hinweise auf Murmeltiersalbe, Granufink-Kapseln und Inkontinenzmittelchen, da merkt man gleich: Hier ist das adäquate Ambiente für den müd gewordenen Restdeutschen.
Ist das noch real?
Und in den Episoden: Dieselbe einlullende Vertrautheit. Die Handlung tritt hinter den zuverlässig wiederkehrenden Typen – der vorlaut-patente Vorzimmerdrachen, die schneidig-kühle Controllerin, der freiwillig-feuerwehr-pfiffige Polizeihauptmeister, die fesch-forsche Pathologin, der jovial-patriarchalische Amtsvorstand – sowieso eher in den Hintergrund.
Halbwegs exotisch ist da allein der irgendwie südländisch daherkommende, aber trachtenfeste Wirt von der Szenekneipe, der „Tscho“. Spätestens wenn aus der Totale über die Kleinstadtidylle der lange Schwenk über das Voralpenpanorama unter dem Himmel weiß und blau folgt, ist die Welt dann sowieso wieder in Ordnung.
Stop, halt, zurück. Ist das noch real? Gut: In der Rosenheimer Gegend sieht’s bei schönem Wetter wirklich aus wie für die Touri-Postkarte gemalt. Die Arbeitslosenquote ist mit drei Prozent auf Rekordtief, selbst die Jugenderwerbslosigkeit liegt nicht wesentlich höher.
Steuereinnahmen spülen Geld in die Stadtkasse
Aber gibt’s denn in diesem Voralpen-Paradies keine Ausländer? Doch: Fast jeder fünfte der 61.000 Rosenheimer ist zugewandert, „Saupreiß’n“ und innerdeutsch „Zuag’roaste“ nicht mitgerechnet. Mehr als die Hälfte der Ausländer kommt nicht aus der EU. Unter den 123 Nationen haben die Türken den größten Anteil, danach kommen serbische, bosnische und rumänische Bürger.
Auch in Rosenheim gibt’s deutschenfeindliche Gewalt, ausländische Totschläger, Vandalismus und einen albanischen Fußballklub, dessen Jungs schon mal hinlangen, wenn einheimische Kartoffeln ihnen das gewünschte Ergebnis vermasseln.
Zum Glück gibt’s dank komfortabler Steuereinnahmen wohl noch genug Geld in der Stadtkasse, um allzu offensichtliche Probleme damit einfach zuzukleistern. Aber wenn auch mal Mittel für einen Großeinsatz da sind, fischen die Bundes- und Landespolizei hier an einem einzigen Tag ein paar hundert illegale Lampedusa-Einwanderer aus dem Bozen-Intercity und eskortieren sie in die nächste „Flüchtlings“-Einrichtung.
Zahltrottel aus den geburtenstarken Jahrgängen
Bei den „Rosenheim Cops“ sieht man von alledem natürlich nichts. Multikulti ist im Vorabend-Fernsehen, wenn der bodenständig mit dem alten Passat zwischen Bauernhof und Kommissariat pendelnde Hauptkommissar Korbinian gegenüber Diätbeflissenen das Schweinerne preist (wenn das der Imam wüßte!) und mit vom Drehbuch zugeordneten Kollegen aus Niederbayern oder vom Land der Fischköpfe zurechtkommen muß.
Da geht’s ihm wie dem „Inspector Barnaby“, der es in seiner mittelenglischen Dorfidylle mit allen möglichen kauzigen, skurrilen und verschrobenen Typen zu tun hat, nur nicht mit Afrikanern und Pakistanis. Rotherham ist da ganz, ganz weit weg. Mit der rauhen multikulturellen Wirklichkeit in der echten englischen Provinz hat Barnabys fiktiver Wirkungsort auch nicht viel zu tun, räumte der Miterfinder und Produzent von „Barnaby“ Briant True-May vor Jahren selbst in einem Interview ein: „Du siehst dort kein weißes Gesicht.“
Ganz anders bei „Inspektor Barnaby“, wie True-May, befragt, warum man in seiner beliebten Serie ausschließlich hellhäutige Protagonisten sehe, freimütig zugab: „Ethnische Minderheiten sind in der Serie nicht dabei, weil es sonst kein englisches Dorf wäre. Es würde nicht funktionieren.“ Für Mitschöpfer Briant True-May ist „Inspector Barnaby“ die „letzte Bastion der Englishness“, die er bewahren wolle.
Zahltrottel aus den geburtenstarken Jahrgängen
Er versuche nämlich, „etwas zu produzieren, das ein bestimmtes Publikum anspricht, was offenbar erfolgreich ist“. Für diese etwas unvorsichtig ausgeplauderte Offensichtlichkeit wurde True-May vor vier Jahren von der Produktionsfirma gefeuert. Der Sender, auf dem „Barnaby“ in Großbritannien läuft, zeigte sich pflichtschuldig „erschüttert und entsetzt“.
Die Armleuchter. Sogar das deutsche ZDF ist schlauer. Da läuft „Barnaby“ nach wie vor rauf und runter, vor allem in den Spartenkanälen, und bevorzugt die Folgen von vor 2010 mit dem Gentleman John Nettles als Inspektor. In seinem „Midsummer“ gibt’s noch jede Menge virtuelle heile Welt, so wie bei den „Rosenheim Cops“. Oder im Radio, wo jede ARD-Anstalt einen Sender mit 80er-Jahre-Musik unterhält, wo 80er-Jahre-Leute tagsüber anrufen und über 80er-Jahre-Alltagsdinge reden (Arbeit, Feierabend, Urlaub, Freunde, Beziehung, Feiern, Spaß haben) und auch sonst total gut drauf sind.
Das hält die Zahltrottel aus den geburtenstarken Jahrgängen bei Laune, da gehen sie weiter brav arbeiten und Steuern löhnen und merken nicht, wie das Land ihrer Jugend, aus dem die Sinalco, Fräulein Menke und Barclay James Harvest immer noch über den Äther herübergrüßen, längst um sie herum abgerissen worden ist.
Sollen sie nur weiter schaffen gehen und Kohle abdrücken und von der bequem eingerichteten Jugendzeit mit ihren vergleichsweise harmlosen und längst vergessenen Problemen (Weltfrieden, Atomkrieg, Waldsterben) träumen. Bis zur Rente, wo sie dann spätestens merken, daß nichts mehr übrig ist. Solange wirkt das Opium fürs Volk, aus Rosenheim und Midsummer, aus SWR 3 und Bayern 1.
Brrrr. Jetzt schalt ich die Kiste doch wieder aus. Pfeif auf die Idylle.