Wir, die wir noch Vieh haben, helfen uns gegenseitig und sorgen gerade für Heu. Mai kühl und naß – füllt des Bauern Scheun’ und Faß! Nach drei, vier Jahren regelrechter Dürre im Frühjahr hat es diesmal ausnahmsweise geregnet. Reichlich! Im mittleren und südlichen Deutschland am Stau der Mittelgebirgen zuviel, in Mecklenburg genau richtig.
Wetterbericht und Spaßgesellschaft vermelden Niederschlag neuerdings mit einer Wehklage, als wäre er radioaktiv. Aber wir „Eingeborenem“ sind erfreut, da es wächst und wuchert, wo noch letztes Jahr der trockene Lehm wie verbacken aufsprang und sich die Pflanzen dürr und welk dahinquälten. Es war, als hörte man sie wimmern. Jetzt üppige Vegetation, saftige Halme, breite Dolden, kräftige Ähren.Und wir mähen. Für unsere Schafe im Winter, für die Ziegen, für unsere paar Pferde, für die Kaninchen.
Ein einfaches Leben
Zurück zur echten Sense. Das lernt sich. Und die alten Bauern wissen uns deren Blätter sogar noch zu dengeln und zu klopfen, daß eine scharfe Schneide blinkt, mit der das Gras sich vorzugsweise früh morgens ernten läßt, wenn es im Tau gut gegen den Strich steht. Jeder von uns übt sich in schön runden Bewegungen – die Halme glatt weg, das Gras sauber in Bahnen gelegt. Einerseits Kraftsport, andererseits ein stiller Tanz: Schnitt, Schnitt, Schnitt … Mecklenburgisches Tai-Chi. – Mein Großvater Josef Chmarowski war Schnitter. Ein richtiger, mit Schnauzer. Was für ein Kerl! Solche mähten die Getreidefelder der Güter. Für Brot. Dagegen spielen wir nur.
Wir mit dem Viehzeug wohnen in den älteren Häusern. Mancher Hof ist ziemlich verfallen. Wir verdienen eher wenig, flicken viel und achten darauf, daß die wichtigsten Dinge stimmen: Dach, Heizung, Abwasser. Auch Bücherregal. Und Vorrat für das Vieh, das wir zu halten begannen.
Das Ambiente wird wichtiger
Den neuen Eigenheimbesitzern ist Ambiente wichtiger. Mag sein, sie lesen die Lebensstil-Zeitschrift „Landlust“. Für sie ist insbesondere Gras ein Ärgernis, ein dreist nachwachsender Gegner, der Mal auf Mal vernichtet werden muß. Verbissen mähen sie maschinell jede Woche, und am Tag danach sicherheitshalber noch einmal, weil sich die Halme in der Räderspur ja wieder aufgerichtet haben. Englischer Rasen. Die ganz genau auf eine Halmlänge von maximal zwei Zentimetern achten, heißen hier inkorrekt „Rasennazis“. Seit der Rasentraktor ein Muß für das Außenrevier des Mannes ist, hat das Grün auf einem solchen Grundstück keine Chance, wird zerhäckselt, vermulscht und pünktlich kompostiert.
Während wir nach freien Flächen suchen, auf denen das Grün schön dicht in langen Halme steht. Was schwerfällt, denn seit wegen der Energiepflanzen so gut wie alles in profitable Reproduktionskreisläufe einbezogen ist, fehlt es bis auf die Straßenränder sogar hier an „Allmende“. Wir laufen herum und sagen den Leuten: Euer langes Gras da mähen wir euch ab. Bringen wir danach sogar weg. – Würziges Heu, viel mehr Aroma und viel feiner als das harte Industriegras, von dem wir uns für den Winter zwei, drei große Rollballen vom Agrarunternehmer kaufen.
Mit dem Rücken zur Scheunenwand
Wir wenden das Gemähte zweimal am Tag, und bei satter Sonne bringen wir es nach drei Tagen ein. Mit zwei wieder in Gang gebrachten breiten Tafelkarren. Wenn man bedenkt, was das früher für ein gutes Gefühl gewesen sein muß, etwas für den Winter in die Scheunen zu karren, was einfach so dank Erde, Sonne und Regen gewachsen ist und für Monate die Fütterung sichert! Dabei ist Gras heute nahezu wertlos – so wie vieles, was den Alten noch teuer war. Mit der Hungerharke zogen die noch die letzten Halme nach. Wir stellen uns vor, wie ganze Familien auf den Weiden wirtschafteten – jetzt für das Heu, im Spätsommer für das noch eiweißreichere Grummet.
Abends stehen wir mit den Rücken an der Scheunenwand, blicken Richtung Horizont, sind ein bißchen stolz und blinzeln in den Himmel zu den Schwalben, wenn wir die Bierflaschen heben. Zur kleinen Feier der großen neolithischen Revolution.