Zur Pädophilie-Debatte um die Grünen wurde bereits einiges gesagt. Man könnte meinen, sogar alles. Und dennoch bleibt das Gefühl, es wurde immer nur um den heißen Brei geredet.
Vielleicht weil eine konkrete gesellschaftliche Empörung schlichtweg fehlt. Der Aufstand ist ein theoretischer, eine in einigen Zeitungen geführte Debatte, die keinen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen hat. Weshalb die Entrüstung auch zu einem desinteressierten Schulterzucken der Mütter am Fußballfeldrand verkümmert: Sie wüßten nicht genug darüber, irgendwo seien die Grünen doch sympathisch, sicher seien das doch nur Ausnahmen und auf keinen Fall exemplarisch für die Politik der Partei.
Aber in der Schule, da würde der Musiklehrer immer breitbeinig dasitzen und die eigene zwölfjährige Tochter „komisch“ anschauen. Aber das habe ja nichts mit seiner Parteizugehörigkeit zu tun, sagt beispielsweise die Mutter des Torschützenkönigs.
Und das ist vermutlich der Grund für die fehlende Aufregung: Bei der Diskussion über die Grünen geht es um eine vielschichtige Meta-Debatte. Und eben nicht wirklich um konkrete Mißhandlungsfälle. Der Versuch dies mit dem Skandal in der katholischen Kirche vor wenigen Jahren zu vergleichen, ist deshalb zwecklos.
Zwei Paar Schuhe
Es sind zwei Paar Schuhe: Bei den Grünen wird eine Ideologie verantwortlich gemacht für mögliche Mißbrauchsfälle, die angeblich gar nicht stattgefunden hätten. Oder für eine Gesetzesänderung, die vielleicht hätte durchgeboxt werden können, aber nicht wurde. Bei der katholischen Kirche dagegen ging es um konkrete Fälle, begangen von einzelnen (wohlgemerkt), worin Presse und Politik aber ein System erkennen wollten: Pädophilie liege quasi in der Natur des Zölibats, hieß es.
Es ist zwecklos, solche Vergleiche zu ziehen. Auch wenn es so kurz vor der Bundestagswahl mehr als reizvoll ist. Und weil die Grünen sicher jede Rüge verdient haben, die sie bekommen.
Es nutzt nichts, beleidigt zu schmollen und sich nun für die Attacken auf die katholische Kirche von damals zu rächen. Es funktioniert auch nicht. Schließlich ist die Mehrheit der Medienmacher ohnehin rot-grün gesinnt. Und somit bestimmen eher sie, welche Skandale die notwendige Wucht in der Gesellschaft erreichen, wie Michael Wolffsohn kürzlich im Focus schrieb.
Wenn immer nur aufgewogen und verglichen wird und die eigenen politischen Befindlichkeiten gerächt werden, gelangt man schnell auf die falsche Fährte. Denn kranke Menschen gibt es überall, in jeder Institution, egal ob Kirche oder Partei. Es ist die Frage, ob dahinter ein System steckt.
Logische, wenn auch undurchdachte Konsequenz
Es ist lächerlich zu behaupten, Pädophilie liege in der Natur des Zölibats oder der hierarchischen katholischen Kirche. Und genau so lächerlich ist es, diese krankhafte Neigung als etwas zu sehen, das grundsätzlich in der Ideologie der Grünen angelegt ist. Auch wenn die Grünen für die durchgreifende sexuelle Befreiung waren. Es wird niemand zum Pädophilen, bloß weil er einer Ideologie anhängt. Die Frage aber ist, ob die freizügige Debatte der damaligen Grünen über eine Entkriminalisierung des Sex mit Kindern Pädophile bestärkte, ihre krankhafte Neigung als etwas angeblich doch nicht Unnormales auszuleben.
Die Forderung nach straffreier Pädophilie ist zum eine, wenn auch vielleicht unbeabsichtigte Konsequenz linker Philosophie und sexueller Revolution: Denn wer für die Abschaffung jeglicher Hierarchie und gegen sämtliche Unterdrückung ist, der muß natürlich auch dafür einstehen, daß Kinder in jeder Hinsicht gleichberechtigt mit Erwachsenen sind. Schließlich ist das Alter auch eine Kategorie der Macht.
Es gibt immer die, die oben sind
Und genau hier liegt der Kern des Problems: Obwohl Grüne und Rote gerne daran glauben, daß Hierarchie lediglich eine gesellschaftliche Konstruktion ist, die abgeschafft werden kann, ist dem nicht so: Hierarchie in allen Facetten gibt es bekanntlich auch nach jeder Revolution.
Der Schein von angeblicher Hierarchiefreiheit trügt, denn es gibt immer jemanden, der oben ist. Und der kann, wenn er möchte und dazu sogar noch die gesetzlichen Freiheiten hat, den Schwächeren immer manipulieren und beherrschen. Das gilt nicht nur für die Gesellschaftsordnung, sondern auch und besonders beim Thema Sex zwischen Erwachsenen und Kindern.
Die Konsequenz? Die Grünen haben zwar strikt nach ihrer eignen Ideologie gehandelt, aber das spricht sie nicht von der Verantwortung von dem Ergebnis frei. Vor allem, wenn es um die Verharmlosung von Pädophilie geht. Daraus sollte eigentlich folgen, daß die Partei ihre Grundsätze in Frage stellt und sich darüber Gedanken macht, welche gravierenden und destruktiven Entwicklungen einer Gesellschaft überhaupt moralisch zuzumuten sind. Pädophilie ist da nur die Spitze des Eisbergs.
Und trotzdem wird das der Partei nicht schaden. Man kann nur staunen, daß die Grünen trotz der unterschiedlichen Strömungen, die sie in ihrer Anfangszeit einten, und trotz zahlreicher bis heute vorhandener ideologische Widersprüche nicht schon längst in sich zusammengebrochen sind, ja mehr noch, sogar immer erfolgreicher werden und sich als unglaublich wandelbar und anpassungsfähig erweisen. Wie Wolffsohn schreibt, kommt der Presse vermutlich dabei die Rolle des Klebers zu, der dieses Kartenhaus zusammenhält. Anders ist das Phänomen dieser Partei nur schwer zu erklären.