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Die Lindenwirtin

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Als eine leichte Brise aufkam, war ich wohl der einzige dort, der auf das Rauschen der Blätter über uns achtete und es – warum auch immer – genossen hat. Ich weiß schon, daß der Baum nur aus biologischen Notwendigkeiten heraus so gewachsen ist, wie er nun dort steht; ich weiß auch, daß der Wind nicht weht, wo er will, sondern daß er weht, wo er weht. Und doch bin ich romantisch geworden, dort, in Krickelsdorf, Oberpfalz.

Gestern erst saßen wir auf einer schweren Holzbank an einem schweren Holztisch, im kleinen Biergarten der Lindenwirtin. Im Alter von 17 Jahren hat sie die Wirtschaft übernommen, erzählte sie, kommende Woche wird sie ihr 40-jähriges Jubiläum feiern, dafür hat sie extra Bierdeckel von der regionalen Schloßbrauerei drucken lassen, freilich mit hellem Rand, betonte sie, wegen der Striche für die Rechnung. Und die Wirtschaft selbst, die gibt es schon seit 100 Jahren. Seit genau 100 Jahren.

Sie hat sich freundlich mit uns unterhalten, obwohl wir fremd waren, aber wahrscheinlich nur, weil wir als Gäste kamen (darüber kann man höchstens spekulieren). Ich meinte, ihr die 40 Jahre Gastwirtin ansehen zu können, all‘ die viele Arbeit, die Besoffenen, die guten und die schlechten Zeiten, die schönen Feiern und ihr Ansehen als Lindenwirtin, das sie wahrscheinlich im Ort genießt.

Tod einer Bekannten

Sie konnte keinen Zweifel daran haben, daß wir „Preißn“ sind. Darum hat sie ihr schweres Oberpfälzisch ein wenig ins Hochdeutsche justiert – wohlgemerkt: ein wenig. Und so haben wir uns über die modernen und die damaligen Zeiten unterhalten, eigentlich nur Allgemeinplätze ausgetauscht. Aber wir sind uns im Großen und Ganzen einig darüber gewesen, daß es früher unterm Strich besser war, die Zukunft aber ungewiß und eher düster ist.

Mit uns am Tisch saß ein alter Mann, älter als 70 jedenfalls, und er war auch sehr freundlich. Er beteiligte sich am Gespräch, und zwischendrin berichtete die Lindenwirtin ihm vom Tod einer gemeinsamen Bekannten, was ihn offensichtlich erschrak. Sie sei früher mit ihm in eine Klasse gegangen, er habe in Prüfungen oft von ihr abgeschrieben, worüber er jetzt noch lachte. Nach kurzer Trauer besann er sich darauf, daß es nun einmal so sei, daß alle sterben. Und eine weitere Brise kam auf, und er nippte an seinem Bier, die Blätter rauschten und er zwinkerte uns zu.

Es könnte jeden Tag vorbei sein

Während des Schweigens, das aufkam, als die Lindenwirtin ihm ein weiteres Pils aus dem Schankraum holte, nahm ich eine Zigarette aus der Packung und studierte den Warnhinweis, daß Rauchen einen langsamen und qualvollen Tod verursachen kann. Diese ekelhaften Gesundheitsapostel, dachte ich ganz still und bildete mir für eine Zehntelsekunde ein, mein linker Arm würde taub. Wurde er natürlich nicht, ich bin kerngesund.

Wir sprachen dann noch über die Probleme beim Sudoku, wenn man erst mal eine falsche Zahl eingetragen hat, und über den Igel, der ihr mal in den Vorratsraum gelaufen war, worüber sie sich auch jetzt noch köstlich amüsierte. Und die Schwalben, die seien in den letzten Jahren auch weniger geworden, was mich an Timo Kölling erinnerte, dessen Gedichte ich gerne lese, aber kein einziges verstehe.

Dann war die Rast vorbei, wir zahlten und fuhren weiter, ohne Grund über Waldwege, für die wir Allrad und die lange Übersetzung benötigten, durch Dörfer und Ortschaften mit nicht mehr als drei Häusern. Es könnte jeden Tag vorbei sein. Es könnte aber auch noch 40 Jahre dauern. Die Lindenwirtin wäre dann 97 Jahre alt.

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