Das „bürgerliche Lager“ aus Union und FDP gebe es nicht mehr, verkündete Stuttgarts neuer Grünen-OB Fritz Kuhn am Tag nach seiner Wahl: „Die Grünen sind breit ins Bürgertum eingedrungen.“ Das war natürlich erst mal ein Seitenhieb gegen seinen unterlegenen parteilosen Gegenkandidaten, der unterstützt von ebenjenem „Lager“ sich mit der Parole „ein Bürger als Oberbürgermeister“ angepriesen hatte. Aber was heißt das überhaupt, „bürgerlich“?
Hinter dem Triumphgeschrei der Grünen über den gelungenen Langen Marsch auf den OB-Sessel einer Landeshauptstadt und zeitweiligen CDU-Hochburg steckt die tiefe Befriedigung über eine gelungene Umwertung bestehender Werte. Die alten 68er-Kämpfer der Grünen haben ihren Gramsci verinnerlicht: Es gebe „keine Hegemonie“ der CDU im Bürgertum mehr, freut sich Kuhn, man habe „die kulturelle Hegemonie der CDU über die Stadt nachhaltig zu erschüttern“ vermocht, legt der alte K-Gruppen-Kämpe Jürgen Trittin nach; die spezifisch baden-württembergische Strategie der Grünen sei gewesen, „in das Herz der Konservativen“ zu treffen und sogenannte bürgerliche Wähler anzusprechen, präzisiert Rezzo Schlauch, knapp gescheiterter OB-Kandidat von 1996, und Parteichef Cem Özdemir gräbt dazu noch eine alte Erhard-Eppler-Sozi-Kamelle aus: „Jetzt ist klar, daß Grün wertkonservativ heißt und CDU strukturkonservativ.“
Im Klartext heißt das: Drei, vier Jahrzehnte lang hat man alles, was mit „bürgerlich“ und „konservativ“ assoziiert wird, erfolgreich bekämpft und die Begriffe so entwertet, daß man sie sich zum Schluß wie eine Jagdtrophäe selbst anheften kann. Eine scheinkonservative CDU, die mit Wertefundamenten nichts anfangen konnte und statt dessen pragmatisches Wirtschaft-und-Wohlstand-am-Laufen-halten für eine ausreichende Existenzrechtfertigung hielt, hat das Spiel leichtgemacht.
Um die entleerten konservativen Begriffe kämpfen
Die kulturelle Hegemonie gehört schon seit geraumer Zeit grünen Ideologemen, von Ökoromantik bis Gender und Multikulti, mit denen von den Kanzeln, Lehrerpulten und Redaktionen herab längst ganze Jahrgänge indoktriniert worden sind und die sich ihre eigenen Strukturen geschaffen haben, in denen sich die neue grüne Bionade-Bourgeoisie auf Kosten der Allgemeinheit eingerichtet hat, um zu bleiben. Daß die politische Hegemonie der kulturellen folgt, eben dieser linken Diskurshegemonie, der die anderen nur noch hinterherrennen, ist nach Gramsci quasi naturgesetzlich und nur eine Frage der Zeit.
Umgekehrt heißt das: Wer die linke politische Hegemonie brechen will, muß bei der kulturellen anfangen und um die entleerten und entfremdeten bürgerlichen und konservativen Begriffe kämpfen. Bildung hat mit Leistung und Differenzierung zu tun und nicht mit Einebnung von Hindernissen und Gleichmacherei. Werte beziehen sich auf ein konkretes Gemeinwesen und nicht auf abstrakte Universalismen. „Mit“-Bürger ist nicht jeder zufällig Anwesende, sondern nur, wer sich mit Staat und Nation identifiziert. Verantwortung muß jeder selbst für sich und das Gemeinwesen übernehmen, statt nach der großen Gouvernante zu rufen. Nachhaltigkeit besteht in Bewahrung und Weitergabe von Erbe und Identität und nicht in globalen Weltrettungsphantasien.
Das nur als Anfang, als erster Denkanstoß. Wer kämpft mit?