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Über Ächtung und Ausstieg

Über Ächtung und Ausstieg

Über Ächtung und Ausstieg

 

Über Ächtung und Ausstieg

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Dieser Tage wurde man wieder von den Medien mit dem Thema NPD regelrecht zugemüllt. Eine offiziell natürlich willkommene Ablenkung von wirklich relevanten politischen Vorgängen. Da war zum einen der skandalöse Herauswurf der deutschen Rudererin Nadja Drygalla aus dem Londoner Olympia-Dorf aufgrund ihrer Beziehung zu einem mutmaßlichen NPD-Mitglied.

Keinesfalls der erste Fall von Sippenhaftung in der bundesdeutschen Antifa-Gesellschaft, man denke etwa an die Ikea-Führungskraft, die Ende letzten Jahres entlassen wurde, weil sie bei „Facebook“ auch drei NPD-Funktionäre als „Freunde“ akzeptiert hatte. Immerhin konnten im Internet auch Stellungnahmen veröffentlicht werden, die den skandalösen Diskriminierungs-Vorgang kritisch kommentieren, etwa von Jürgen Elsässer, Felix Menzel und einigen anderen.

Zudem war die NPD in den letzten Tagen ein regionales Thema im Rhein-Main-Gebiet. eine Eine kleine Aktivisten-Gruppe an Funktionären suchte mehrere Städte auf, um dort eine Info-Veranstaltung abzuhalten. Stets kam es zu den gleichen Reaktionen. Teils schamlose linke Aktionsbündnisse bildeten sich, die von Kirchenoberen, „Grünen“ und Sozialdemokraten bis zu den einst DDR-gesponserten VVN-„Antifaschisten“ und den verbohrten Altkommunisten der DKP reichten. Und da die Linke ihr widerstrebende Ansichten noch nie geduldet hat, wurde (immerhin nur) zum Pfeifkonzert angesetzt. 200 linke Pfeifer und Eierwerfer standen in Frankfurt ganzen neun NPD-Aktivisten gegenüber. Rechnen wir die vermutlich vier Staatsbediensteten in der Truppe ab, dann bleiben wohl gar nur fünf „echte“ NPDler. In anderen Städten sah das Ergebnis ähnlich aus. Auf beiden Seiten kein Reflexionsprozeß, man hat sich im Ritual eingerichtet.

Auf Abwege geratene, kranke Liebe

Vor Jahren schrieb ich einmal in der Jungen Freiheit sinngemäß, daß solche NPD-Aktive nun wirklich einen Preis für Mut und Zivilcourage verliehen bekommen müßten. Und das ganz abgekoppelt von den hochproblematischen Inhalten, die diese Partei teilweise vertritt. Mit neun Köpfen Gesicht zu zeigen, gegen eine Masse von 200 Feinden, von denen auch viele gerne anders könnten, wenn man sie denn ließe, dazu gehört immerhin eine Portion Mut, die – Hand aufs Herz – nur ganz wenige Menschen haben. Selbst in linken Foren las ich schon Beiträge, in denen gerätselt wurde, wie solche NPD-Leute das eigentlich durchhalten. Sie würden von allen verhöhnt, bespuckt und mit Eiern beworfen, und würden trotzdem immer wieder von neuem kommen.

Dies soll nicht als Sympathiebekundung für die NPD oder bestimmte Ideologien mißverstanden werden. Mein Einwand entspringt eher dem Charakterzug, der stets Gerechtigkeit auch für den Schwächeren fordert. Ich würde ähnliches schreiben, wenn dort neun Scientologen oder Atomkraftfans, sogar neun Salafisten einem 20fach überlegenen Schreimob gegenüber stehen würden. Denn jemand, der nur Haß und Stumpfsinn in sich trägt, tut sich solche Demos in der Regel nicht an. Es muß auch viel an Liebe in solchen Menschen stecken, denn nur mit dieser und dem Glauben daran, hält man eine solche soziale Belastung mit Folgewirkung auch durch. Im Falle der NPD ist es allerdings eine verhärtete, auf Abwege geratene und kranke Liebe.

Vor Jahren geriet ein Versandkatalog des NPD-eigenen Deutsche Stimme-Verlages in meine Hände. Auf dem Titelbild erkannte ich sogleich einen der beiden Ehrentempel auf dem Münchner Königsplatz, die 1934 für die „Blutzeugen“ der NS-Bewegung errichtet wurden. „Da braucht ihr euch nicht wundern, als Neonazis klassifiziert zu werden“, dachte ich mir. Es gibt viele patriotische Motive, mit denen man seine Heimatliebe darstellen kann, zum Beispiel die Walhalla in Regensburg, die Befreiungshalle in Kelheim, den Kölner Dom, das Brandenburger Tor. Ausgerechnet aber solch ein Motiv zu wählen, ist eine klare Aussage, die nicht mit purer Naivität entschuldigt werden kann. Sein Land zu lieben und für sein Wohl zu sorgen, ist nichts Ehrenrühriges. Sich in ideologische Sackgassen zu treiben oder gar treiben zu lassen, allerdings schon.

Normaler, reflektierter Renegat?

Nun ist das Thema NPD in diesen Tagen zum dritten Male hochgekocht. Der einstige NPD-Funktionär Andreas Molau hat sich ins Aussteigerprogramm des niedersächsischen Verfassungsschutzes begeben, der „tagesschau“ und dem Cicero sogleich Interviews gegeben. Das ist insofern auch für Leser der Jungen Freiheit interessant, als Molau bis 1994 als Kulturredakteur der Zeitung fungierte, bis es zum inhaltlichen Streit und Molaus Abwanderung ins alt-rechte Lager kam. Begegnet bin ich Molau wissentlich nie, hatte aber damals wohl einige Male mit ihm im Rahmen der JF-Autorentätigkeit telefoniert. Fast 20 Jahre ist das schließlich her. Und zu wenig für einen echten menschlichen Eindruck.

So interessant wie die Frage, warum sich jemand in NPD- oder Kameradschaftszusammenhänge begibt, ist die Frage, wann, wie und warum er „aussteigt“. Bei Molau dürfte ausgeschlossen sein, daß er einer jener „agent provocateurs“ oder labilen Persönlichkeiten war, die solche Gruppen heimsuchen, um dann alsbald als gefeierter „Aussteiger“ der Presse Interna preisgeben zu können. Er ist auch keiner jener Psychopathen, die einem überhitzenden Motor gleichen: Die radikalisieren sich immer stärker, bis sogar ihre „Kameraden“ die Angst bekommen und um Mäßigung bitten, um dann als Konvertit ins gegnerische Lager überzuspringen.

Der normale, reflektierte Renegat hingegen wandelt sich zum Menschenrechtler und Individualisten. Er kehrt erschöpft in den Schoß der liberalen Gesellschaft zurück. Dafür spricht bei Molau einiges, wenn er sich zu seiner neuen politischen Haltung äußert: „Libertär, undogmatisch – ich bin gegen eine Einordnung der Menschen in Kategorien wie Rasse, Klasse oder Nation. Für mich steht das Individuum im Zentrum. Ich weiß, was Ideologien anrichten, die das Individuum bekämpfen wollen.“ 2006 hatte er noch in der Zeitschrift Muslim-Markt erklärt: „Es gibt nach meiner Auffassung nicht die Menschheit an sich, sondern Rassen und Völker.“

Ausgrenzung und sozialer Druck

Sehe ich mir Fotos von Molau im Internet an, so erscheint er mir als ein freundlich wirkender Mensch mit feinen Gesichtszügen. Das unterscheidet ihn stark vom bräsigen Biertisch- und aggressiven Demo-Typus, die beide im NPD-Milieu häufig zu erkennen sind. Gleichwohl wirkt er aber auch weich und etwas unbedarft. Einerseits also hebt er sich von dem Milieu ab, in dem er schwamm, andererseits aber verstrickte er sich immer weiter in dieses. Es bleibt ein Rätsel, weshalb er offenbar so unreflektiert in einen teils hochproblematischen Dunstkreis des Politbetriebs hineinrutschen konnte, in den er womöglich gar nicht gehört. Wurde er möglichenfalls erst richtig dorthin getrieben, nachdem er sich 2004 für eine Anstellung bei der NPD an seiner Braunschweiger Waldorf-Schule beurlauben lassen wollte und daraufhin gekündigt worden war. Im Anschluß daran wurde sogar seinen Kindern der Besuch dieser Schule untersagt, womit wir wieder bei der Sippenhaftung wären.

Es sind zwei Seiten einer Medaille. Einerseits die NPD als abgeschottetes und radikalisierendes Auffangbecken, andererseits der Verlust der bürgerlichen und sozialen Existenz durch die „antifaschistisch“ ausgrenzende Gesellschaft. Dieser Mechanismus zielt darauf, sozialen Druck zu erhöhen, um Menschen in die Radikalisierung und politische Isolation zu treiben und/oder zum zermürbten Verlassen abweichender Positionen. Wird der seelische Druck zu groß, gibt es den Umschwung. Mir scheint dies im Falle Molaus, der gerne wieder als Lehrer arbeiten möchte, der Grund seines „Ausstiegs“. Menschlich verständlich ist das natürlich.

Die wichtigste Frage ist aber die nach der Selbstreflexion. Offenbar leben politische Milieus, wie das der NPD, von hohem Anpassungsdruck, der das kritische Denken einschränkt. Wenn Molau sich heute darüber mokiert, daß es in der NPD und „Pro-Bewegung“ ausgeprägten Rassismus gäbe, wenn er sich über die Gewalttätigkeit und Straffälligkeitsrate in „Kameradschaften“ beschwert, wenn er heute behauptet, daß er die NPD hatte reformieren wollen, warum hat er all das damals nicht getan? Warum hat er vor „Kameradschaften“ nicht Vorträge über die negativen Folgen von Gewalt gehalten und zur Diskussion gestellt? Ist es nicht möglich, mit diesen Menschen zu sprechen, statt nur zu pfeifen oder zu kuschen? Warum hat er sich nicht in seiner politisch aktiven Zeit offen gegen Rassismus ausgesprochen? Warum ist er nicht empört aufgestanden, als Udo Pastörs jene Rede gehalten hat, die er als Ausstiegsgrund angibt? Es gibt viele Möglichkeiten, täglich Gesicht und Mut zu zeigen. Allein dazu aber bedarf es keiner „Aussteigerprogramme“, nur Charakterstärke.

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