An diesem Wochenende sind wieder die abschließenden Empfänge auf der Buchmesse. Da kommt die Erinnerung an eine Episode, die schon etwas zurückliegt, an ein zeitgeistiges Gespräch bei einem der Großverlage, der in der Villa Bonn zu tagen pflegt. Es ging eigentlich allgemein um diese und jene Anekdoten aus dem kulturellen Alltagsbetrieb. Dann erzählt einer hochbegeistert von einem Triumph am Theater. Aufgeführt wurde Elias Canettis „Blendung“ – und endlich waren Hakenkreuze auf der Bühne.
Die „Blendung“ ist zweifelsfrei ein besonderes Stück Weltliteratur. Ein bösartigeres und doch faszinierendes Buch ist kaum geschrieben worden. Canetti schildert in seinen Erinnerungen – wohl ohne zu übertreiben -, wie sich Freunde und Bekannte bei der Lektüre Gedanken machten, wen sie eigentlich kennen und wozu der imstande sei, der so was schreibt.
Doch ist es ein Kunst-Werk, keine politische Kampfschrift. Dabei lagen und liegen die entsprechenden Stichworte natürlich bereit. Canetti schrieb das Buch als Jude sephardischer Abstammung um 1930 in Wien, und es läßt sich natürlich auch als Abrechnung mit dem Wiener Umfeld und der deutschen intellektuellen Kultur lesen. Jeder Einfaltspinsel von Theaterregisseur wird heute daraus ein Blut-Schlamm-Nazi-Stück zusammenbasteln.
Platte Agitation
Genau das aber hat Canetti zeitlebens verhindert und immer darauf bestanden, es gebe diesen Bezug nicht. Er hat deshalb auch mit allen Mitteln entsprechende Theateraufführungen verhindert. Als er aber 1994 hochbetagt verstarb, dauerte es nur Wochen, bis genau eine solche Inszenierung aufgeführt wurde. Die Nachlaßverfügungen waren wohl nicht präzise genug.
Dies wurde auf der Buchmesse natürlich als Triumph gehandelt, aber auch mit einem Achselzucken der Distanz von dem dahinter stehenden Willen, der in aller Primitivität jeden Kulturbetrieb auf platte Agitation zu reduzieren droht. Da sich das kaum ändern wird, auch dieses Jahr wieder: Prost!