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Schwarze Berserker

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Habe ich in meiner letzten Kolumne von der Kriminalisierung einer harmlosen Jugendkultur in einem totalitären Staat berichtet, so geht es mir heute um das Gegenteil: die Entstehung einer militanten Subkultur in einer Gesellschaft, die stolz auf ihre Friedfertigkeit ist.

Das Feature „Schwarze Schafe“ von Raphael Smarzoch wird am 9. Juli um 23.05 auf WDR 3 ausgestrahlt und liefert einen profunden und angenehm unaufgeregten Überblick über den norwegischen Black Metal, eine Musikrichtung, deren Protagonisten nichts ausgelassen haben, was „normale Menschen“ verstört, provoziert oder schockiert: vom martialischen Auftreten und der „dämonischen“ oder zombiehaften Verkleidung über den gutturalen, oft in Geschrei und Gekrächze ausartenden Gesang, die satanistischen Liedtexte und die Inszenierung blutrünstiger „schwarzer Messen“ auf der – zuweilen mit Tierkadavern „verzierten“ – Bühne, bis zu dem Punkt, an dem die zur Schau gestellte Todessehnsucht, Menschenverachtung und Gewaltverherrlichung in tatsächliche Gewalttaten umschlug.

Die Wende von der spätpubertären Maskerade zu Suiziden, Brandstiftungen und Morden erfolgte Anfang der 1990er Jahre: 1991 erschoß sich der Sänger der Band Mayhem, Per Yngve „Dead“ Ohlin, mit einer Schrotflinte, und sein Bandkollege Oystein „Euronymous“ Aarseth machte Fotos von der Leiche, die er für das Cover des nächsten Albums verwenden wollte; außerdem sammelte er Schädelsplitter auf, die später zu Anhängern verarbeitet wurden. 1992 war dann das Jahr der Kirchenbrände in Norwegen: Elf Brandstiftungen wurden verübt, von denen sieben auf das Konto von Black-Metal-Anhängern gingen; im selben Jahr ermordete Bard „Faust“ Eithun einen Homosexuellen.

Maulwurfsarbeit in tabubesetzten Zonen 

Der Höhepunkt dieser Entwicklung ereignete sich im folgenden Jahr, als Varg Vikernes, der Gründer des Projekts Burzum, seinen einstigen Weggefährten Euronymous mit zahlreichen Messerstichen abschlachtete. Vikernes, der auch an Brandstiftungen beteiligt und durch Angriffe auf andere Bands aufgefallen war, wurde zu einer einundzwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt. Seit seiner Entlassung auf Bewährung 2009 ist er wieder als Musiker sowie als Autor tätig und genießt einen – angesichts seiner neonationalsozialistischen Bekenntnisse – erstaunlichen Kultstatus als besonders „authentischer“, umstrittener wie bewunderter Künstler.

Der Mord an Euronymous führte zu starken Umwälzungen in der Black-Metal-Szene: Einige Bands distanzierten sich – zum Teil sicher auch aus kommerziellen Motiven – von jeder Kriminalität, kokettierten mit ihren „Jugendsünden“ und sind zu offiziellen Repräsentanten der norwegischen Gegenwartskultur aufgestiegen; andere wandten sich aus weltanschaulichen Gründen vom Satanismus, der von Teilen der Szene als negative Fixierung auf das Christentum kritisiert wird, ab und orientierten sich am nordischen Heidentum, das in Pagan Metal und Viking Metal neue Ausdrucksformen fand.

Auch Vikernes bekennt sich nun zum Heidentum, dem er durch dessen Vermengung mit NS-Ideologemen allerdings nicht gerade einen förderlichen Dienst erweist. Daneben gibt es im Pagan Metal auch unpolitische Bemühungen um norwegische Geschichte und Kultur, nordische Landschaft und Mythologie. Aus deutscher Sicht ist solche Maulwurfsarbeit in tabubesetzten Zonen wohlbekannt; auch in Norwegen gibt es einen verschämten, nur das Neue und Fremde vorbehaltlos anerkennenden Umgang mit der eigenen Geschichte.

Grenzen der sozialpädagogischen Weltanschauung

Interessant, wenngleich allzu konstruiert, ist der Bezug, den Smarzoch zu dem Attentäter Anders Breivik herstellt. Dieser handelte ebenfalls aus einer politisch-historischen Motivation heraus; jedoch war er ein Einzeltäter, der keiner dem Black Metal vergleichbaren Szene angehörte, und er bezog sich gerade auf das Christentum, das er durch multikulturalistische Politik und muslimische Immigration bedroht sieht. Zudem handelt es sich hierbei um aktuelle Probleme und nicht um Geschehnisse, die, wie die Einführung des Christentums in Norwegen, ein Jahrtausend zurückliegen.

Leider läßt die Sendung eine Erklärung vermissen, warum es gerade in der so friedliebenden norwegischen Gesellschaft zu solchen Exzessen kam. Vielleicht liegen hier die Grenzen der sozialpädagogischen Weltanschauung, die glaubt, dem Menschen die destruktiven Schichten seines Unterbewußtseins aberziehen zu können. Auch die scheinbar friedlichsten Gesellschaften werden immer wieder neue Konflikte hervorbringen, indem ihr „toleranter“ Multikulturalismus diese von außen importiert, oder indem verdrängte Triebe aus dem eigenen Innern emporbrechen.

Den ethnisch-kulturellen Konflikten, die Breiviks Massenmord auf eine absurde Spitze getrieben hat, begegnet man durch eine an nationalen Interessen orientierte Bevölkerungspolitik; den inneren Konflikten, die der Black Metal artikulierte, durch gemeinschaftliche Rituale und Symbole, die das Archaische des individuellen wie des kollektiven Unbewußten bejahen.

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