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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Reif für die Wende

Reif für die Wende

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Reif für die Wende

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Gehen wir in diesen Jahren der Krise einer neuen Wende, mindestens geistig, mindestens kulturell, allermindestens lebenskulturell entgegen? Alles deutet darauf hin, denn allzu viel wäre zu korrigieren. Offenbar reichen dazu „Reden und Majoritätsbeschlüsse“ mal wieder nicht aus. Gemäß den spätestens seit den Neunzigern gewohnten Eingleisigkeiten, innerhalb derer der Primat des Wirtschaftlichen angemahnt und befeiert wird, dreht sich die Diskussion folgerichtig zunächst fast nur um das Ökonomische und Finanzielle, das ja, erklärte man lange, gerade das Vehikel des „europäischen Gedankens“ sowie jenes der Globalisierung im Sinne großer Völkerverständigung wäre.

Grundsätzlich also etwas Gutes. Bis sich herausstellte, daß die Gleichschaltung der Nationen mittels Einheitsmarkt und Einheitswährung deren Konturen eher wieder verstärkte als verschwinden ließ. Nach Thomas Mann bedingen Nationalismus und Demokratie einander. Geschichtlich und strukturell. Supranationalität aber schränkt Partizipation und Demokratie ein. Schon jetzt. Und beläßt man es beim Wirtschafts- und Haushaltsmathematischen, so ist ohnehin klar, daß etwas zu brechen droht, was besser nie konstruiert worden wäre. Von Anfang an hatten die Statiker gewarnt, daß es auf diese Weise kein „europäisches Haus“ geben könnte.

Wie reift eine Situation heran, die auf Veränderung drängt?

Wie entsteht Unmut, wie reift eine Situation heran, die auf Veränderung drängt? Es ist eben nicht die physische Verelendung, von der in Europa so kaum die Rede sein kann, auch nicht in den sogenannten Problemländern des Südens. Es sind nicht die kleinbürgerlichen Existenzängste und die damit zusammenhängende Korrumpierbarkeit, die doch eher lähmen und zu opportunistischem Anpassungsverhalten und Servilität zwingen. Nein, das, was die Menschen irgendwann in Rage bringt, sie aufrüttelt und nach Jahren einer mehr oder weniger hedonistisch ausgestatteten Lethargie wieder bewegt, ist der ganz natürliche Unwille, belogen und betrogen zu werden. Und dies beginnt mit sprachlichen und semantischen Sachverhalten, insofern Politik noch öffentliche Angelegenheit ist.

Das Bewußtsein registriert, daß nicht die Rede ist von dem, wovon die Rede sein sollte, daß ferner begriffliche Verschwommenheiten, Verkleisterungen, Euphemismen, schräge oder unsinnige Zuschreibungen mehr und mehr eine klare Sprache behindern. Denn mit Verlautbarungsrhetorik in den engen Grenzen vereinbarter Korrektheiten sind auch Sachverhalte und Probleme lediglich eng zu behandeln. Außerdem folgt die Politik in ihrer kollektiver Wahrnehmung einem auch individuell bekannten Trugschluß: Formuliert sie etwas, hält sie das sprachlich Gefaßte bereits für eine gegenständliche Tatsache, für „matter of fact“. Ganz abgesehen davon, daß inhaltlich nicht klar ist, was sie meint, wenn sie von „Europa“, „Bildung“, „Mitte“, „Wachstum“ spricht.

Man kann nicht immerfort mit zwei Zungen sprechen

Die Menschen werden rebellisch, wenn das Geschwisterteil ihres Denkens und Handelns, die Sprache, offiziell eingeschränkt ist. Entgegen der Klischees und Legendenbildungen gingen die DDR-Bürger nicht etwa auf die Straße, weil es ihnen – bei allen Einschränkungen – elend ging, denn den Mangel waren sie ebenso gewohnt wie ihre Möglichkeiten. Den aufrechten Gang trainierten sie vielmehr erst in dem lange gewachsenen Bewußtsein, daß die Sprachregelungen derer da oben nichts mehr gemein haben mit dem, worum es eigentlich gehen müßte. Man las die Verlautbarungen der „Partei- und Staatsführung“, man las sogar hochsensibel zwischen den Zeilen, und man wußte: Thema verfehlt!

Dies verhinderte letztendlich den Rest gesellschaftlicher Kommunikation, mit dem man vorher noch gerade so auskam – auch deswegen, weil es immer zwei oder noch mehr Sprechweisen und Lesarten gab, die parallel und selbständig existierten, eine langweilige und mehr und mehr unerträgliche offizielle und eine vielfältige, sich im Subversiven und in der Kunst und Literatur ausprobierende inoffizielle. Nur kann man, geht es um Veränderungen, in einem Land nicht immer mit zwei Zungen sprechen.

Der nette Zirkus der „bunten Republik“

Führung und Opposition gaben ihren Inhalten Zeichen, mit denen die jeweils andere Seite nichts mehr oder nur das Ihre anfangen konnte. Die Rede vom „Leseland DDR“ war nicht nur Propaganda, denn jenseits des gleichgeschalteten Journalismus suchten die Bürger damals in der Belletristik und im Theater Begegnungen in neuer Sprachlichkeit. Wenigstens durfte dort auch mal schallend gelacht werden! Über den Nonsens, der offiziell als unangreifbar herausgestellt wurde.

Man kann die DDR der achtziger freilich nicht mit der Bundesrepublik der nuller Jahre vergleichen. Immerhin leben wir in einer offenen Gesellschaft. Aber die krankt an ihrem Lebenselixier, der Lebendigkeit der offenen Rede ohne Einschränkungen. Wo denn gibt es eine Opposition, die diesen Namen verdient? Wie wäre es derzeit je möglich, besonders sakrosankte Leitlinien nicht nur zu wählen, sondern auch abzuwählen? Was von einer hart mit sich selbst in Gericht gehenden Demokratie übrig blieb, ist tatsächlich nur noch das Karlsruher Verfassungsgericht. Der Rest sind „Veranstaltungen“, etwa der rituelle Dauerkampf „gegen Rechts“, der nette Zirkus der „bunten Republik“, die Unkultur ignoranter Rechthaberei, das Unvermögen, längst absurde Zuschreibungen und performative Sprechakte kritisch zu falsifizieren, um endlich wieder tragfähige Vereinbarungen schließen zu können.

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