Auch im Syrienkonflikt liefern die deutschen Medien ein Trauerspiel ab. Kaum etwas wird über die Hintergründe des derzeitigen Konflikts berichtet, statt dessen – vor allem im Fernsehen – die übliche Unterhaltungs-Operette aufgeführt.
Es werden altbekannte Stereotypen präsentiert, wenn irgendwelche Regime oder Machthaber primär US-amerikanischen Interessen im Wege stehen: Hier das gute Volk, die nach Freiheit und Demokratie rufenden Bürger, dort der brutale Diktator und seine uneinsichtige Nomenklatura. Mag manch negative Nachricht über die beschriebenen Regime sicherlich stimmen, so führt dieses Kammerspiel doch zu keiner tiefergehenden Erkenntnis. Man erfährt nichts über die Herkunft und Absichten der unterschiedlichen Akteure des Machtspiels und ihrer Hintermänner. Statt dessen eine Aneinanderreihung moralistischer Worthülsen.
Nach Libyen so nun auch in Syrien, wo „das Volk“ gegen Assad und „seine Anhänger“ in Stellung gebracht wird. Marietta Slomka etwa plapperte unlängst im „ZDF heute journal“ sinngemäß darüber, daß bislang „kaum ausreichende Härte“ das Regime in Damaskus getroffen hätte. Von „Wut“ und „Bitterkeit“ war die Rede, etwa weil die syrische Botschaft ein Konto bei der Commerzbank haben dürfe. Caren Miosga bekam offenbar kurz darauf in den „ARD tagesthemen“ den gleichen Text zum Ablesen vorgesetzt, nur sprachlich variiert.
Da war dann von Assads „Krieg gegen sein Volk“ und den „mörderischen Taten“ die Rede. Zwischen solchen Kommentaren sieht man dann oft nicht verifizierte Handyaufnahmen, die alles und nichts zeigen. Man glotzt diese Nachrichtensendungen an und das Aufregen wechselt sich mit Fremdschämen ab. Wie tief gesunken muß man in seinem journalistischen Anspruch eigentlich sein, um täglich stumpfe Polit-Seifenopern als Nachrichtensprecher von sich geben zu müssen?
Sich der Meinungsmache verweigern
Doch Vorsicht: Hinter so viel zur Schau getragener Dummheit stecken im Hintergrund meist ganz andere Leute und deren gezielte politisch-ökonomische Interessen. Die Kasperlefiguren in den TV-Nachrichtensendungen sind so nur die Sprachrohre für die eigentliche Absicht.
Und wenn ein internationaler Interessenkampf entschieden ist, verschwindet ein Thema ja auch ganz schnell wieder aus den Medien. Gerade dann, wenn es interessant wird. Wer hört noch etwas von Libyen? Etwa davon, dass es Anzeichen für den Zerfall des Landes gibt? Wer hört etwas vom niedergeschlagenen „Frühling“ beim US-Verbündeten Bahrain? Oder von den salafistischen Bestrebungen in Tunesien?
Nun – das sei vorweg gesagt – kann auch ich nicht viel zur Erhellung des aktuellen Syrien-Konflikts beitragen. Weder bin ich Nahost-Experte noch je in Syrien gewesen. Gleichwohl kann man sich der derzeitigen Meinungsmache verweigern und versuchen, einige eigene Recherchen anzustellen. Etwa darüber, daß unlängst 19 französische und vier türkische Agenten im syrischen Unruhegebiet festgenommen werden konnten. Über deren dortigen Auftrag kann man nur spekulieren.
Nach dem Sturz von Assad kommen die Muslime-Brüder
Peter Scholl-Latour äußerte im März in der Berliner Zeitung, daß im Falle eines Sieges der Opposition gegen das religiös ausgesprochen moderate alevitische Assad-Regime höchstwahrscheinlich radikale Muslim-Brüder die Macht im Lande übernehmen werden. Viele Angehörige der derzeit tolerierten christlichen Minderheit, immerhin zehn Prozent der Bevölkerung, müßten dann wohl fliehen. Scholl-Latour sprach von einer „Katastrophe“. Eine Parallele zur Entwicklung im Irak und teils in Ägypten also. Nebenbei bemerkt könnte der Sturz des Feindes Assad auch für Israel zu einem Pyrrhus-Sieg werden, der die Sicherheitslage eher verschärft.
Kein politisches System tritt kampflos ab und überläßt bewaffneten Horden einfach das Feld. Wenn aber unsere Medien gebetsmühlenartig an die Adresse der Baath-Partei fragen, wann denn die „brutale Gewalt“ in Syrien aufhöre, dann sollten sie den Appell an die eigenen Regierungen richten. Die Aufständischen bekommen nämlich ihre Waffen aus Saudi-Arabien und der Türkei ins Land geschmuggelt, somit also von engen Verbündeten der USA. Auch das mit US-Stützpunkten gesegnete Emirat Katar hat offenbar beste Beziehungen zu den Rebellenkreisen.
So gesehen braucht Syriens Opposition gar nicht mehr nach internationaler Hilfe rufen. Sie erhält sie längst. Scholl-Latour erläutert die geostrategischen Hintergründe: „Beim besorgten Blick auf Syrien allein verliert man leicht den geheimen Masterplan aus dem Auge: Der große Drahtzieher ist Saudi-Arabien. Es will das Regime der Alawiten, dieser „abscheulichen Ketzer“, zu Fall zu bringen. Den Türken, die die Aleviten früher massakriert haben, käme das auch zupaß. Regionalstrategisch wollen die Saudis eine schiitische Achse vom Iran über die schiitisch dominierten Provinzen des Irak bis zur Hisbollah im Libanon zerschlagen – und dem Iran so den Zugang zum Mittelmeer abschneiden. Diesem Ziel wären sie mit einem von ihnen gelenkten Salafisten-Regime in Damaskus sehr nahe. Letztlich geht es also gar nicht um Syrien selbst, sondern um den Konflikt mit dem Iran.“
Der Westen will Öl und seine Anti-Iran-Strategie durchsetzen
Würden also unsere Regierungen bei ihren nahöstlichen Partnern etwas Druck machen, wäre „die Gewalt“ womöglich schnell beendet. Doch sie ist schließlich beabsichtigt. Man gibt den Saudis nach, erhält dafür Öl und geostrategische Unterstützung gegen den Erzfeind Iran.
Man erfährt übrigens auch nichts darüber, warum gerade die Stadt Homs eine Hochburg der Rebellen zu sein scheint. Konnte man in Libyen noch alte Stammesrivalitäten zwischen Tripolitanien und der Cyrenaika heranziehen, so findet sich dennoch eine Gemeinsamkeit auch zwischen diesen beiden Konflikten: Im Libyen lag das Aufstandsgebiet im erdölreichen Osten des Landes. Und sowohl in Homs als auch im ebenfalls umkämpften Banias befinden sich die beiden wichtigen Erdölraffinerien Syriens. Ein Schelm, der sich dabei gar nichts denkt.
In unseren Medien muß man solche Analyse schon mit der Lupe suchen. Statt dessen jubliert man über kleine Niederträchtigkeiten. So titelte die Bild-Zeitung hämisch gegen Frau Assad: „EU verbietet Diktator-Gattin Luxus-Shopping“. Die Heuchelei ist dabei kaum noch zu überbieten, wenn man weiß, daß Europa als Shopping-Paradies feudaler Saudis gilt, die nicht nur ein paar Schuhe kaufen, sondern gleich Privatflugzeuge. Oder daß Araber aus der Golfregion mal locker 65.000 Euro Wochenmiete für ein Londoner Haus hinlegen.
Weder einer Frau Slomka, noch einer Frau Miosga wurde offenbar bislang ein redaktioneller Zettel vor die Nase gehalten, sich darüber vor der Kamera mit ernstem Blick zu ereifern. Und so bleibt nur die immer gleiche Erkenntnis, daß Medien in seltenen Fällen der Informationsfindung dienen, zumeist aber der Ablenkung und Verschleierung. Medien, die aber gar keine nützlichen Informationen mehr liefern, sind schlicht überflüssig geworden. Man legt sie weg, man schaltet ab.