Über Stilfragen, insbesondere auf Kleidung bezogen, mache ich mir beinahe seit meiner Kindheit Gedanken, aber wenn ich jetzt, anläßlich der Vorbereitung eines Vortrags über konservativen Stil, meine bisherigen Bemühungen rekapituliere, muß ich zugeben, daß ich ziemlich selten gut angezogen war und noch seltener Anzeichen eines wirklichen Stils entwickelt hatte.
Vielleicht mache ich es mir aber auch zu schwer; professionelle Stilberater scheinen die Sache weniger kompliziert anzugehen. Heinz Commer beispielsweise, der in seinem Buch „Stil – Selbstdarstellung, Ambiente und Lifestyle“ eine „Orientierung für den Wertewandel“ anzubieten behauptet, liefert leider nicht mehr als – schon wieder – einen bis auf ein dürres Phrasenskelett abgespeckten Knigge. Mit „Stil“ haben solche Plattitüden über moderne Lebensformen und Verhaltensmaßregeln allerdings nichts zu tun, sondern eher damit, wie man sich möglichst unauffällig einem gehobenen Konventionalismus einfügt.
Stil kann heute nur heißen, aus dem Mainstream herauszutreten – aber doch nicht allein um der Exzentrik und des Anders-Seins willen, wie ich dies, in unterschiedlichen Phasen, immer wieder versucht habe: An der Uni grenzte ich mich durch das Tragen von Anzug und Krawatte vom geisteswissenschaftlichen Schlabberlook ab; heute meide ich den „Business-Stil“ als Ausdruck eines fremdbestimmten, durchkommerzialisierten Daseins.
Stil als Niederschlag eines individuellen Gesetzes
„Immer dagegen“ ist aber genausowenig ein wirkliches Stilprinzip wie mit der Mode mitzuschwimmen – während die meisten Stil mit Mode, das Persönliche mit seiner ästhetischen Nivellierung, verwechseln, tappte ich in der Exzentrizitätsfalle herum und experimentierte mit Nadelstreifen und Borsalino, Frack und Smoking, Gehrock und Spazierstock oder – Anni Mursula möge es mir verzeihen – mit Kilt und Herrenrock.
Viel hat dieses Suchen mit der heute vorherrschenden Entwurzelung zu tun, die den „freischwebenden Intellektuellen“ oder „Internet-Bohemien“ mehr betrifft als den beruflich, familiär, regional oder konfessionell noch stärker Eingebundenen. Wenig ist selbstverständlich (am wenigsten das medial Vorgegebene); alles muß selbst gesucht und angeeignet werden, wenn man dies nicht den wechselnden, von fremden Interessen geleiteten Maßstäben der „Gesellschaft“ überlassen will. „Stilberater“ helfen hier wenig – eher Philosophen wie Friedrich Nietzsche, Georg Simmel oder Ludwig Klages, von denen wir lernen können, daß Stil Niederschlag eines „individuellen Gesetzes“ ist: des Wesens eines Lebendigen, wie es zur Erscheinung gelangt.
Die Etymologie von „Stil“ bzw. „stylus“ deutet dies an: Wer einen guten Stil hat, weiß „den griffel der sich sträubt zu führen“ (Stefan George). Stil zeigt sich zunächst also in der Schrift, der Stil-Beherrschung des Schreibens, da in diesem eine lebendige Bewegung geistig überformt wird. Das rein Lebendige, Tier oder Pflanze, artikuliert zwar auch schon ein Wesen, eine individuelle Qualität, aber es hat ebensowenig einen Stil wie das Leblos-Formale und Formelhafte; Stil ist nur dort gegeben, wo sich ein Lebensprozeß nach seinen eigenen – bewußt reflektierten – Prinzipien den ihm gemäßen Ausdruck schafft.
Prinzipien, die die Zeiten und ihre Mode überdauern
Mit Mode hat Stil also wenig zu tun, aber auch nicht mit vulgärplatonischem Kult des Innerlichen und „Idealen“, für den alles „Äußerliche“ nur eitler Schein ist – eine Versuchung, der Konservative leicht erliegen, wenn sie bei ihrer Anknüpfung an das preußische Prinzip „mehr sein als scheinen“ vergessen, daß alles Sein auch erscheint. Wie könnte ein konservativer Stil also aussehen? Um „konservative Mode“ bemüht sich seit einiger Zeit das kleine Label „Konmo“, indem es politisch nonkonforme Motive beziehungsweisen Heroen wie Bismarck, Jünger oder Spengler auf T-Shirts druckt.
Frech und ulkig ist es allemal, wenn der Eiserne Kanzler ein rosa Girlie- oder Slim-Fit-Shirt ziert, aber Stil sollte doch etwas mehr umfassen. Einen großen Schritt in die richtige Richtung ging sicher Thomas Hoof mit seiner Firma „Manufactum“, die er 2007 leider an Otto verkaufte; nicht zufällig war Hoof zeitweise bei den Grünen, und ebenso konsequent war es, diese wieder zu verlassen. Eine Partei, die sich jedem Wandel des Zeitgeistes und der politisch-medialen Kräfteverhältnisse anbiedert, ist alles andere als stilvoll. Jedoch ist Stil im Parteiensystem überhaupt nur im Ausnahmefall und nur von Politikern, deren geistige Prägungen noch in vielleicht nicht vordemokratische, aber vorparteienstaatliche Zeiten zurückreichen, zu verwirklichen.
Stil ist wohl noch immer eine aristokratische Angelegenheit – was aber keinesfalls dazu verleiten darf, ein auf den Schein des Exzentrischen reduziertes Dandytum vergangener Zeiten nachzuahmen. Gerade die ursprünglichen Dandys, die als Erfinder des männlich-eleganten Stils gelten, opponierten im Namen des Hochwertig-Schlichten und Nachhaltigen gegen den bunten, billigen Plunder. „Wahrer Stil“ ist zwar nicht „zeitlos“, wie es ein Armani-Slogan früher formulierte; seine Formen sind vielmehr so zeitbedingt wie jede Äußerung eines individuellen Lebens, aber seine Prinzipien überdauern die Zeiten und ihre Moden.