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Zehetmairs Krokodilstränen

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Ganz schön dreist: Erst verkorkst er die deutsche Rechtschreibung, dann wundert er sich, warum die Rechtschreibleistungen nachlassen, und schiebt auch noch den Lehrern die Verantwortung zu. Am 29. November ließ Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, eine Pressemitteilung verbreiten, in der er verlauten ließ:

„Der Rat weiß um die Schwierigkeiten, die bereits in der Vermittlung von Rechtschreibung liegen: Didaktisch an die jeweiligen Jahrgangsstufen angepasste Konzepte sind rar, oftmals wird der betreffende Sachverhalt eins zu eins aus dem amtlichen Regelwerk in die Schulbücher kopiert. Das ist nicht im Sinne der Ersteller des amtlichen Regelwerks: Das amtliche Regelwerk ist von seiner Anlage her mit einem Gesetzestext vergleichbar, der für die einzelnen Benutzergruppen adäquat aufbereitet werden muss.“ Mit anderen Worten: Die Rechtschreibreform ist toll, nur sind Schulbuchverlage und Lehrer leider zu blöd, sie zu verstehen und zu erklären. Daß dies vielleicht an der mißlungenen Reform selbst liegen könnte, auf diesen Gedanken kommt Zehetmair nicht.

Guratzsch: „Das kommt einer Bankrotterklärung gleich“

Zu Recht empörte sich daher einen Tag später Dankwart Guratzsch in der Welt über Zehetmair: „Wenn er jetzt erklärt, daß mit der Orthografie ‘nachlässig‘ umgegangen werde und daß dies eine Ursache dafür sei, ‘daß ungefähr zwanzig Prozent eines Jahrgangs der 15-Jährigen als Analphabeten gelten müssen‘, kommt dies einer Bankrotterklärung gleich. …Ein Regelwerk, das nicht vermittelbar ist, kann … zu einer Erleichterung niemals beitragen.“

Auch die Lehrer beschwerten sich über Zehetmairs Watsch’n. Gerhard Brand, der baden-württembergische Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), wies die Kritik zurück: „Lehrer halten sich an die Vorgaben der Bildungspläne“. Wenn der Rat etwas ändern wolle, müsse er bei den Lehrplänen ansetzen. Außerdem sei noch viel zu tun, damit richtiges Schreiben wieder als wertvoll angesehen werde. Derzeit sei die Rechtschreibung „nicht einmal zweitrangig, sondern völlige Nebensache“.

Rechtschreibung als „Ausübung von Herrschaft“ verteufelt

Schuld daran sei zum Beispiel, so der VBE, daß die bundesdeutsche Schulpolitik in den 1970er Jahren den Thesen des englischen Soziologen Basil Bernstein verfiel. Dieser sprach von schichtspezifischen Ebenen der Sprache: dem „elaborierten Code“ der Ober- und Mittelschicht und dem „restringierten Code“ der Unterschicht. Infolgedessen sei der Wert von Rechtschreibung an sich immer mehr in Frage gestellt worden. Das Mündliche sei gegenüber dem Schriftlichen bevorzugt worden.

In den „Hessischen Rahmenrichtlinien“ von 1972 ging es den Urhebern bekanntlich darum, Sprache und Rechtschreibung als „Ausübung von Herrschaft“ zu begreifen, weswegen die „Unterwerfung der Schule unter herrschende Normen“ überwunden werden müsse. Schriftliche Diktate wurden als Teufelszeug angesehen. Diese Einstellung wirkt bis heute fort. In Hamburg zum Beispiel dürfen Lehrer Diktate derzeit nicht benoten.

Zehetmair sollte zurücktreten

Es gibt viele weitere Gründe dafür, daß es mit den orthographischen Fähigkeiten bergab geht. Dazu zählen auch die zahlreiche Reformen, die den Deutschunterricht in den Grundschulen erschüttert haben: vom phonetischen Schreiben bis zur Rechtschreibreform. Diese Reformen haben nicht die Lehrer, sondern die Kultusminister auf den Weg gebracht. Es ist daher nicht nichts anderes als unverfroren, wenn ein ehemaliger Kultusminister nun den Lehrern den Schwarzen Peter unterzujubeln versucht.

Als bayerischer Kultusminister (1986 bis 1998), als Präsident der Kultusministerkonferenz und als Vorsitzender des Rechtschreibrats (2004 bis heute) ist Zehetmair einer der Hauptverantwortlichen für die mißlungene Rechtschreibreform und auch dafür, daß Beliebigkeit einzog und viele Menschen Rechtschreibung nicht mehr als wichtig erachten. Im Jahr 2004, als die Rechtschreibreform kurz vor dem endgültigen Aus stand, war es Zehetmair, der die Aufgabe übernahm, die Neuregelung durch eine erneute Reform zu retten.

Herr Zehetmaier, Ihre jüngste Pressemitteilung zeigt es deutlich: Sie haben versagt. Geben Sie es doch zu! Guratzsch meint: „Es wäre ehrlicher, das Scheitern einzugestehen und zurückzutreten.“ Dieser Forderung schließe ich mich vorbehaltlos an. Doch was würde sich dann ändern?

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