Ob man es glaubt oder nicht – Studenten werden wieder fromm.
Studentische Ökumene und Fremdheit
In meiner Universitätsstadt gibt es seit etwa einem halben Jahr einen ökumenischen Gottesdienst. Dieser wird im Monatsturnus gemeinsam von evangelischer und katholischer Studentengemeinde ausgerichtet.
Dabei werden unter Moderation durch Studenten und medialer Begleitung tiefergehende Themen wie „Fremdheit“ und „Heilsamkeit“ behandelt. Studenten aller Fachbereiche und Studiensemester kommen zusammen, die Kirche ist jedes Mal deutlich voller, als man es mittlerweile aus regulären Gottesdiensten kennt.
Singen und Tanzen für den Herrn
Der „Stil“ des Ganzen ist deutlich neumodisch gehalten. Es gibt musikalische Unterstützung von einer Liveband, und das Publikum neigt dazu, bei den Liedern aufzustehen und sich mitzuwiegen – ähnlich wie bei den berühmt-berüchtigten evangelikalen Veranstaltungen in den USA.
Nichtsdestoweniger liegt der Schwerpunkt auf der Rückbindung an die Heilige Schrift und der Übertragung der Bibelexegese auf die jeweilige thematische Fragestellung des Gottesdienstes.
Studenten heute – wert-voll oder wert-los?
Angesichts dieser Bestandsaufnahme fragt man sich, wie das zum vielbeklagten Werteverfall und Nihilismus innerhalb der jungen Generation paßt. Gerade bei Studenten, die sich ja in der Mehrheit „irgendwo links“ verorten würden, widerspricht eine vermehrte Hinwendung zu Gott allen Erwartungen.
Wo also sind die Ursachen dafür zu suchen, daß Studenten im Spannungsverhältnis zwischen Prüfung und Party noch Zeit und Motivation aufbringen, einen Gottesdienst zu besuchen bzw. selbst mitzuorganisieren?
Sehnsucht nach Väterlichkeit
Es ist wohl schlicht und ergreifend nicht möglich, insbesondere in der bewegten Jugendzeit ohne ein gewisses Wertekorsett zu leben, das – pathetisch gesprochen – die Seele zusammenhält. Auch braucht wohl jeder Student infolge der hohen Belastung, der er spätestens seit der Bologna-Reform unterliegt, einen „sicheren Hafen“ – da Kommilitonen, Partner oder das Elternhaus dies nur begrenzt zu leisten vermögen, liegt eine Hinwendung zur Metaphysik nahe.
Und nicht zuletzt führte und führt die gezielte und unablässige Wertezertrümmerung seit 1968, führen Entsolidarisierung, gewaltsame Vernichtung des väterlichen Prinzips und Vereinsamung im Sinne eines pervertierten Individualismus zu einem tatsächlichen seelischen Unwohlsein. Ob dieses nun bewußt wahrgenommen wird oder nicht: Nur eine Rückbindung an Struktur und Hierarchie ist wirkmächtig wider die „Geworfenheit“ (Heidegger) des modernen Massenmenschen. Warum nicht auf höhere Gnade hoffen, wenn Alltagsleben, Studium und Berufsleben keine mehr zu bieten haben?