Der Kardinalfehler der Euro-Gruppe beim Rettungspoker ist die Ankündigung, den Euro retten zu wollen, koste es, was es wolle. Das schreit förmlich nach einem schlechten Blatt. Wer beim Pokerspiel nur ein einziges, niedriges Kartenpaar auf der Hand hält, dem hilft es nicht weit, allein eine siegesgewisse Miene zur Schau zu stellen.
Er muß darauf hoffen, die Mitspieler bis zum Schluß überbieten zu können. Wer den Euro um „jeden Preis“ erhalten will, kündigt an, den Wetteinsatz permanent erhöhen zu wollen. Das reizt natürlich den Gegner, die Finanzmärkte. Sie wollen die Bruchstelle dieser Pokertechnik testen, sie wollen wissen, wann die Schmerzen die Grenze des Nicht-mehr-Aushaltbaren überschreiten, bei welchem Betrag dem Pokerface gegenüber die Jetons ausgehen.
Spielgeld
Die Euro-Retter hoffen dagegen, daß ihr Stapel Plastikgeld höher ist als der des Gegners, daß dem Gegner, der auf den Zusammenbruch des Euro setzt, vorher passen muß. Sie bluffen jedoch mit einer pathetischen Stärke, die sie nicht besitzen können. Die Euro-Retter sind zwar in der Lage, sich von anderen Mitspielern Geld leihen zu können. Jedoch nur begrenzt, denn die Kreditgeber werden die Gefahr, den gesamten Einsatz zu verlieren, skeptischer beurteilen als die aufs Ganze gehende Euro-Gruppe.
Dem gegnerischen Finanzmarkt steht zudem eine um ein Vielfaches höhere Reserve zur Verfügung. Während die Euro-Rettungsschirme über die gigantisch erscheinenden Summen von 750 oder gar 1.500 Milliarden Euro zu verfügen hoffen, können die Anleger an den Euro-Finanzmärkten mit zweistelligen Billionenbeträgen operieren. Allein die deutschen Sparer verfügen über ein Geldvermögen in Höhe von knapp 5 Billionen Euro.
Bluff und Drohung
Angenommen, die Pokerspieler, die auf die Euro-Rettung setzen, sind sich dieser Problematik bewußt. Wie könnten sie ihre Chancen verbessern? Erstens, durch eine Verbesserung ihrer schauspielerischen Ausdrucksmittel. Das „Wir-schaffen-das-natürlich“ wird mittlerweile durch variantenreichere Mimik und Gestik dargestellt, das Bouquet des Straußes von Rettungsmaßnahmen mit allen möglichen Zierpflanzen angereichert. Der Pokerspieler zieht seinen besten Anzug an und protzt mit Silberschmuck und Pailletten.
Der Gegner läßt sich jedoch nicht so schnell blenden. Zwei Tage nach der jüngsten Einsatzrunde bezweifeln Dreiviertel der Deutschen, daß damit Griechenland gerettet werden könnte. Die zweite Masche ist die Drohgebärde. Der Pokerspieler legt seinen Revolver auf den Tisch und droht jeden, der ihm den Sieg verwehrt, als Falschspieler zu erschießen. Doch wer glaubt wirklich ernsthaft daran, daß der Friede in Europa gefährdet ist, wenn der Euro zusammenbricht? Werden dann wirklich französische Soldaten ein zweites Mal das Ruhrgebiet besetzen? Dieser Revolver ist verrostet.
Gewinnstrategien
Die andere Strategie ist die Verbesserung der Liquidität. Beliebig viel Geld für die weitere Erhöhung der Einsätze wird der Pro-Euro-Pokerspieler kaum von seinen Spielgegnern freiwillig erhalten. Er verfügt aber über einen zweiten Revolver: Die Euro-Staaten können – nicht nur theoretisch, sondern wie in früheren Zeiten bereits erprobt – den Bürgern Zwangsanleihen aufnötigen. Der Gegenspieler wird gewissermaßen durch Waffengewalt gezwungen, einen Teil seines potentiellen Wettgeldes dem klammen Vabanque-Spieler rüberzuschieben.
Noch wird statt dieser Variante die finanzielle Aufbesserung durch Kredite der (Europäischen Zentral-)Bank gesucht, die sich jedoch zunehmend gegen die unseriösen Wetteinsätze zur Wehr setzt. In letzter Verzweiflung mag der Pro-Euro-Pokerspieler zur Notlösung greifen und unterm Tisch neue Geldscheine drucken. Das (inflationäre) Falschgeld wird den Gegner jedoch erst recht in seinem Verdacht bestätigen: Da hat sich jemand gründlich verzockt.
Verzockt und verloren
Die Pokerrunde um den Euro beschert den überheblichen Euro-Rettern kein Gewinnerblatt. Die Finanzmärkte werden ihre Ansage einer Rettung um jeden Preis dankbar aufnehmen und testen, wie hoch der Preis wirklich geschraubt werden kann. Die Vision einer nach oben unbegrenzten Preishöhe ist vollkommen irrational. Der Höchstpreis ist nicht unendlich, aber um so höher, je länger diese Mär verbreitet wird.
Der Verlierer dieser Pokerrunde kann nur der Euro-Verteidiger sein. Mit aller Gewalt gegen die ökonomische Realität zu wetten, hat selbst den totalitärsten Regimen keinen Gewinn beschert. Im Gegenteil: Je verbissener die Pokerrunde durchgehalten wurde, um so katastrophaler war der wirtschaftliche Schaden des Landes. Gewinner waren stets diejenigen, die rechtzeitig erkannten, daß dieses Glückspiel nicht zu gewinnen ist und ihre Schäfchen rechtzeitig ins Trockene brachten. Das werden einige scheinheilige Claqueure des Pro-Euro-Pokerspielers sicher schon insgeheim getan haben.