Heute ist Tag der deutschen Sprache – eine gute Gelegenheit, uns wieder einmal bewußtzumachen, daß verschiedene Sprachen verschiedene Sichtweisen widerspiegeln. Die kulturelle und die sprachliche Vielfalt sind ein Schatz Europas. Unterschiedliche Sichtweisen sorgen für unterschiedliche Herangehensweisen und für eine Vielfalt an Ideen, um Herausforderungen zu meistern. So haben sich die einzelnen europäischen Nationen je nach kultureller Prägung anders organisiert. Und so führen die Vereinheitlichungsversuche der Europäischen Union (EU) auch zu Brüchen mit der Tradition und zu Mißverständnissen.
Die unterschiedlichen Sichtweisen zeigen sich gelegentlich in der Sprache. Ein schönes Beispiel dafür ist das irreführende Wort von der „Wirtschaftsregierung“, das vor kurzem auftauchte. Nach dem Treffen von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy waren die Zeitungen voll davon. Doch handelt es sich bei diesem Wort um einen Übersetzungsfehler.
Englisch als Arbeitssprache führt zu Mißverständnissen
Dieser Fehler entstand dadurch, daß die Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich in der Arbeitssprache Englisch geführt worden waren. „Meist wird das ja im europäischen Rahmen auf englisch diskutiert“, gab Regierungssprecher Steffen Seibert auf der Bundespressekonferenz am 17. August zu. Dabei sei immer von „economic governance“ die Rede gewesen, erklärte er. Die französische Seite übertrug diesen Ausdruck nicht etwa als „gouvernance économique“ in die eigene Sprache, sondern als „gouvernement économique“.
Als Sarkozy am 16. August vor die Presse getreten war und über „gouvernement économique“ parlierte, übersetzte das der Simultanübersetzer mit „Wirtschaftsregierung“ – ein Wort, das die deutsche Presse begierig aufgriff. Sogleich fürchtete die deutsche Industrie staatliche Eingriffe, das deutsche Volk einen weiteren Verlust von Souveränität. In Frankreich hingegen regt das Wort „gouvernement économique“ kaum jemanden auf. Die Franzosen sind es ja gewohnt, daß der Staat ins wirtschaftliche Leben eingreift. Auch die Eingriffe durch die EU bringen den Franzosen mehr Vor- als Nachteile und lassen sie nicht um ihre Souveränität bangen. Schließlich war die Aufgabe der D-Mark die Bedingung Frankreichs für die Zustimmung zur deutschen Vereinigung von 1990.
Regierungssprecher in Erklärungsnot
Am nächsten Tag hatte Seibert alle Mühe, den Übersetzungsfehler richtigzustellen. Auch fiel ihm nicht sogleich eine griffige deutsche Entsprechung ein. Statt dessen flüchtete er sich in eine umständliche Umschreibung: „Man kann auch engere, verstärkte, intensivierte wirtschaftspolitische, haushaltspolitische ‚Steuerung‘ sagen. Das ist, wenn Sie den deutschen Text sehen, der Begriff, den wir wählen.“
Doch die Hauptstadtpresse gab sich damit nicht zufrieden und stellte Seibert die kritische Frage: „Ganz am Anfang haben Sie sich selbst korrigiert, indem Sie davon sprachen, daß Sie besser nicht von einer Wirtschaftsregierung sprechen sollten, sondern von einer Sache, für die zu erklären Sie dann fast eine Minute brauchten. Hat es möglicherweise inhaltliche Gründe, daß man unter dieser Organisationseinheit in Frankreich etwas anderes als in Berlin versteht? Wie sollte sie denn nun heißen?“ Erst dann fand Seibert endlich eine Kurzform: „Ich nenne es wirtschaftspolitische Steuerung.“ Und er betonte, daß es sich eben nicht um eine Regierung handle: „Wenn Sie bei einer Regierung an Minister, Staatssekretäre, Regierungssprecher und Sonstiges denken, dann sind Sie im falschen Boot.“
Doch wie das Boot aussehen soll, in dem Frankreich und Deutschland sitzen, davon haben beide Seiten offenbar unterschiedliche Vorstellungen. Die Sprache bringt es an den Tag.
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