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Der westliche Irrtum

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Der westliche Irrtum

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Mit einem ähnlich verklärten Sendungsbewußtsein wie vormals im Imperialismus redet sich der moderne Westen heutzutage ein, globaler Siegelbewahrer von Menschenrechten und Demokratie zu sein, und verwendet diese Begriffe ausschließlich im Sinne der eigenen, für sich romantisierten Tradition.

Er versteht sich nicht nur als aggressiver Anwalt der eigenen Interessen, etwa in Bezug auf seine maßlosen Rohstoffbedürfnisse, sondern auch als Agitator des eigenen Weltbildes. Vergessen werden dabei nicht nur die eigenen Fragwürdigkeiten wie beispielsweise der geheiligte Wachstumsbegriff der Wirtschaft und der davon abhängende XXL-Konsumismus, sondern ebenso die europäische Geistesgeschichte.

Keine historische Selbstreflexion

Wenn etwa von autoritären Präsidialherrschaften im arabischen Raum verlangt wird, sie sollten bitteschön mehr Toleranz walten lassen, so hat man die eigene Geschichte der Territorial- und Nationalstaatlichkeit nicht verstanden. Das vermeintliche Erfolgsmodell der europäischen Staatenwelt basiert unter anderem darauf, daß in Gestalt eines mindestens landesfürstlichen oder besser noch zentralstaatlichen Absolutismus die unseligen Religionskriege überwunden werden konnten und rebellierende Stände entmachtet wurden.

Erst als der Staat in Ergebnis dieses Landesfrieden gebietenden Prozesses überhaupt handlungsfähig war, konnte er – etwa im aufgeklärten Absolutismus Preußens – tolerante Gedankenfreiheit erlauben, weil mittlerweile aus der Position von Souveränität und Stärke die Kulturform dazu gewährleistet war. Die moderne Idee des Nationalstaats inspirierte, die Schule lehrte, die Akademie disputierte; und die Kirche wollte man lieber im Dorf lassen, anstatt ihr in aller Öffentlichkeit weitere Fanatisierungen zu gestatten.

Der Islam wird sich nicht säkularisieren

Bei allem Respekt, den ein Atheist vor der Religion haben kann: Wird sie Politik, so wird sie für einen souveränen Staat und dessen Kultur zum Problem. Und der Islam will von seinen Entstehungsgründen her immer und überall Politik sein. Er wird sich nie und nimmer mit einem säkularen Staat im europäischen Sinne abfinden wollen, und alle Kompromisse, die er – wie derzeit in der Türkei – zu schließen bereit ist, werden faule Kompromisse sein, die nicht der Staatsräson, sondern der Religion dienen wollen.

Fordert Europa von Baschar al-Assad, den man in Biographie und Herrschaft durchaus als modernen und aufgeklärten Präsidenten verstehen darf, ultimativ mehr Toleranz gegenüber der Opposition, so ist hier immer eine religiöse oder stammesgebundene Opposition gemeint, die mit politisch Oppositionellen, wie Europa das verstehen will, wenig gemein hat. Hier finden unlautere begriffliche Übertragungen statt, die fatale inhaltliche Folgen beschwören. Wer dergleichen fordert, der befördert die Krise des souveränen Staates Syrien.

Eigene existentielle Krise

Andererseits: Weshalb sieht der Westen Theokratien wie Saudi-Arabien und der anachronistischen Emirate als seine Verbündeten an, wenn die Menschenrechte und Demokratie überhaupt gar nicht kennen? Allein aus Pragmatismus.

Die moderne westliche Demokratie – übrigens selbst in einer geradezu existentiellen Krise – hat eine durchaus blutige Geschichte in Gestalt der bürgerlichen Emanzipationsbewegung und ihres Revolutionszyklus hinter sich. Man saß nicht einfach diskursethisch wie im Hause Habermas zusammen und stimmte ab.

Für Liberalismus fehlt im Orient das Bürgertum

Außerdem hätte es ohne die Industrialisierung und deren soziale Opfer gar keinen Liberalismus gegeben, da so einerseits kein kritisches Bürgertum entstanden wäre, andererseits keine Arbeiterschaft, die ab 1830 zu eigenem politischen Bewußtsein fand. Beides gibt es in dieser Weise in der arabischen Welt überhaupt nicht, ebensowenig wie die immer beschworene Aufklärung. Der Westen hängt seine Hoffnungen an ein paar Intellektuelle und Publizisten, die schon froh sind, wenn sie nicht Hals über Kopf emigrieren müssen!

Was in den arabischen Magistralen an rebellierender Randale abläuft, ist von den Bedürfnissen der bislang Gedeckelten her nachvollziehbar, aber es hat mit dem europäischen Verständnis von Aufklärung, Demokratie und Humanität rein gar nichts zu tun. Die schreienden Euphoriker der Straße werden nur religiöse Kanäle für ihre Artikulation finden. Sie kommen gerade vom Freitagsgebet und mitnichten aus liberalen Lesezirkeln.

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