Steht Südtirol vor einem Sprachenkrieg? Diesen Eindruck könnte jedenfalls gewinnen, wer sich die Meldungen der vergangenen Tage ansieht. Da stellt ein römischer Minister mit imperialer Geste ein Ultimatum an die Südtiroler Regierung, um die italienische Sprache durchzusetzen. Der italienische Regionalminister Raffaele Fitto fordert, binnen sechzig Tagen 36.000 nichtamtliche (!), einsprachig deutsche Schilder an Wanderwegen abzubauen und sie durch zweisprachige zu ersetzen. Andernfalls entferne die Regierung die Schilder.
Der Südtiroler Alpenverein hat die Schilder über Jahre hinweg in aufopferungsvoller ehrenamtlicher Arbeit angebracht, um Wanderern den Weg zu weisen. Bisher hat sich noch niemand aus dem Grund verlaufen, daß nichts Italienisches auf den Schildern stand. Die Stimmung ist aufgeheizt. Fitto poltert in der Zeitung „Dolomiten“: „Wir leben in Italien, und es ist nicht hinzunehmen, daß es in der Provinz Bozen nur deutsche Wegweiser gibt.“ Die Bewegung „Südtiroler Freiheit“ schickt Fitto daraufhin ein Plakat mit der Aufschrift „Südtirol ist nicht Italien“.
Siegen die Faschisten wieder?
Die Südtiroler fürchten einen erneuten Sieg des Faschisten und Ortsnamensfälschers Ettore Tolomei. Dieser hatte im frühen 20. Jahrhundert, noch vor der Abspaltung Südtirols, Tausende geographischer Bezeichnungen auf italienisch erfunden, um einen Anspruch Italiens auf das deutschsprachige Gebiet zu rechtfertigen. Tolomei empfand tiefen Haß auf die deutschen Südtiroler, die er als „schweinischen Abschaum“ bezeichnete, den es zu assimilieren galt.
Nach und nach gab Tolomei allen Südtiroler Orten, Bergen, Flüssen und Gewässern italienische Bezeichnungen, die im „Prontuario dei nomi locali dell’ Alto Adige“ verzeichnet wurden. Es bildete die Grundlage für ein königliches Dekret von 1923 zur Italianisierung der Ortsnamen. 1940 verfügte Benito Mussolini, daß das Prontuario das amtliche Namenbuch für Südtirol sei. Bis heute sind – horribile dictu – die italienischen Bezeichnungen die einzigen amtlich gültigen. Eine Neuregelung der Ortsnamengebung durch das Südtiroler Landesparlament verhindern nämlich bisher die darin vertretenen italienischen Nationalisten.
Sinn der Zweisprachigkeit
Als nun Regionalminister Raffaele Fitto vom Südtiroler Landeshauptmann verlangte, die Phantasienamen aus der Faschistenzeit zu verwenden, verweigerte Luis Durnwalder die Unterschrift unter ein Abkommen. Rom fordert laut Durnwalder, nicht nur Bezeichnungen wie „Hütte“, „See“ und „Bach“ zu übersetzen, sondern sämtliche 300.000 Flurnamen. Nach einem Aufschrei der Empörung bestreitet Fitto jetzt diese Forderung. Statt dessen solle seiner Meinung nach ein Ausschuß über die Ortsnamengebung entscheiden.
Woher kommt der wiederauflebende Italianisierungsdruck der römischen Regierung? Die FAZ mutmaßt: „Vielleicht war der italienische Regionalminister Raffaele Fitto zuletzt Wandern in Südtirol, weil er sich von seinen mannigfachen Problemen mit der Justiz ablenken wollte. Seit 2009 ist eine Klage wegen Korruption und illegaler Parteienfinanzierung gegen ihn anhängig.“
Offenbar muß Rom wieder einmal der Sinn der Zweisprachigkeit ins Gedächtnis gerufen werden. Sie soll dazu dienen, die Sprache der ansässigen Bevölkerung zu schützen, nicht dazu, eine Konkurrenz zu ihr aufzubauen. Daher ruft Landeshauptmann Durnwalder die römische Regierung auf, sich auch in anderen Fällen für die Zweisprachigkeit einzusetzen, wie etwa bei den Beipackzetteln von Medikamenten, der Finanzwache, der Post und der Bahn. Auch die Entfernung faschistischer Denkmäler in Südtirol wäre ein Beitrag für ein friedliches Zusammenleben der Volksgruppen in Südtirol, meint Durnwalder.