Die Säkularisierung brachte es mit sich, daß auch die christlichen Tugenden ins Private abgedrängt wurden. Glaube, Hoffnung, Liebe – was früher unwidersprochen das christlich verfasste Gemeinwesen gestalten sollte, wurde hier allmählich in die eigenen vier Wände gebannt. Zwischen Bücherregalen und Wandbehängen fristen sie ihr Schattendasein, und ob es sie gibt oder nicht gibt, fällt in der Außenwelt kaum noch auf.
Woran glaubt diese Außenwelt, worauf hofft sie? An eine „unsichtbare Hand“ im freien Spiel der Märkte? Auf ein „Paradies auf Erden“ durch technischen Fortschritt? Sie weiß es nicht. Ein absolutes geistiges Vakuum beherrscht so unsere Gesellschaft. Eine Gesellschaft ohne Glauben, ohne Hoffnung und damit auch letztlich ohne Liebe. Dadurch wurde sie aber anfällig für eine andere Gesellschaftsform.
Man kann dem Islam vieles vorwerfen. Wer von seinen Anhängern Verfolgung und Vernichtung derjenigen verlangt, die sich nicht unterwerfen wollen, der hat es nicht sonderlich mit der Liebe. Und wer sich bereits als die vollkommene Gemeinschaft versteht, bei dem ist auch nicht viel Platz für die Hoffnung. Aber wohl nicht zuletzt durch diese Vereinseitigung ist er im Glauben unübertroffen.
Verhältnis von Glaube und Vernunft
Ein Glauben, wie wir ihn in dieser Intensität schon längst nicht mehr kennen. Aus einer gewissen naiven Unkenntnis über die eigenen Wurzeln stehen daher viele Christen dem Islam wohlwollend gegenüber: er erscheint ihnen wie ein Abbild aus längst vergangenen Tagen, an die sie sich mit einer gewissen Wehmut zurückerinnern. Doch ist das wirklich ein Glauben, wie wir ihn einst hatten?
Es ist die Eigentümlichkeit des Islams, daß er eine Verbindung von Glaube und Vernunft nicht zuläßt. Überall dort, wo religiöse Inhalte von der menschlichen Vernunft erfasst werden, gerät der gläubige Moslem in eine prekäre Situation. Anders dagegen der gläubige Christ, der gerade zu einer Durchdringung von Glaube und Vernunft angehalten ist. Denn nur so ist die menschliche Erkenntnis möglich, zu der er angehalten ist.
„So setzet nun all euren Fleiß zu dem hinzu und reichet dar in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend aber die Erkenntnis“, heißt es entsprechend zum Umgang mit der göttlichen Offenbarung im zweiten Brief des Petrus. „Denn wo solches reichlich bei euch vorhanden ist, wird es euch nicht müßig noch unfruchtbar machen für die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus.“ Der Islam kennt aber dieses unbedingte Streben nach Erkenntnis nicht, er will beim bloßen Glauben stehen bleiben.
Widerspruch zwischen Christentum und Islam
Hier zeigt sich ein harscher Widerspruch. Unmißverständlich heißt es weiter über diejenigen, die sich nicht um die göttliche Erkenntnis bemühen: „Wer aber solches nicht hat, der ist blind, kurzsichtig und hat die Reinigung seiner ehemaligen Sünden vergessen.“ Derjenige mag an Christus glauben, an das Wunder seiner Geburt, auch an andere Wunder, doch erkennen wird er ihn nicht. Er wird ihm ein bloßer „Prophet“ bleiben.
Der einzig gangbare Weg besteht nicht in der scheinbaren Restauration eines blinden Glaubens. Dieses kann man getrost dem Islam überlassen, der auf diesem Gebiete unübertroffen bleiben wird. Sondern den Glauben zur Erkenntnis, die Hoffnung zur Gewißheit und die Liebe zur erkennenden und sich freiwillig schenkenden Liebe zu veredeln, das ist der Gang der Christenheit in die Zukunft.
Das ist die angemessene, innere Geisteshaltung für das Ereignis, welches sich in der Weihnacht zugetragen hat. So – und nicht durch blinden Glauben – kann es heißen: „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.