„Gefallen und vergessen?“ fragt die aktuelle Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT – „War Ur-Opa ein Nazi? Und ist das mein Problem?“ fragte das Zeit Magazin der vergangenen Woche.
Die Zeit der Urenkel
Die JF beleuchtet anläßlich des Volkstrauertages die ehrenamtliche Arbeit Jugendlicher (heute durchaus ungewöhnlich!) für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberpflege. Indes bringt die Beilage der Zeit es zustande, eingerahmt von einer Reportage über das Heimatdorf Verteidigungsminister zu Guttenbergs und „Wolfram Siebecks Integrationskurs“ einmal mehr das Faß der Vergangenheitsbewältigung aufzumachen.
Aufhänger ist auch im Magazin der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Da die „Erlebnisgeneration“ aussterbe, müsse man nun die heranwachsende Generation der Urenkel betrachten. Mithilfe einer dimap-Umfrage und von Jugendlichen eingesandter Aufsätze zeichnet das Zeit Magazin das Bild einer Generation, die ebenso innerlich zerrissen ist wie die Generation vor ihr.
Auch kommt die Zeitschrift nicht ohne Unterstellungen aus: Anhand einer Karte mit allen nach den Geschwistern Scholl oder Anne Frank benannten Schulen in Deutschland wird die vergleichsweise niedrige Dichte solcher „Gedenkschulen“ in Süddeutschland beklagt. „Offenbar hatten die Schulträger in Bayern deutlich weniger Interesse daran, an die Opfer der Nazidiktatur zu erinnern“, heißt es da. Was für eine lächerliche Behauptung angesichts der Fülle an Widerständlern und prominenten NS-Opfern, die Schulen ihre Namen leihen. Aber wollte man dem ganzen Ausmaß gerecht werden, müßte man wohl ein eigenes Buch darüber herausbringen.
Schluß mit der Betroffenheitspädagogik!
Erfrischenderweise bietet das Herzstück des Magazins jedoch nicht die bei solchen Themen übliche gebetsmühlenartige Wiederholung von Betroffenheitsphrasen. Statt dessen kommen neben den Jugendlichen selbst auch Sozialpsychologen, Geschichtsdidaktiker sowie Psychoanalytiker zu Wort und beschreiben Verdrängungs- und Kompensationsmechanismen. Überraschend offene Kritik wird an der ewigen Wiederkehr des Themas im Schulunterricht geübt; nicht nur in Geschichte, auch in Deutsch, Englisch, Religion, ja selbst in Musik seien Nationalsozialismus und Judenverfolgung präsent.
Da sprechen die Befragten von „verbaler Trauerfloristik“, von einer „historisch entkernten Pietät“ des „formelhaften Gedenkens“ in den Medien und in einem Geschichtsunterricht, der in der Hauptsache „ein sozial erwünschtes Sprechen über die Epoche des Nationalsozialismus“ einübe. Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald stellt gar fest: „Über Betroffenheit erreicht man niemanden.“
In der Tat ist die Diktion der thematischen Beiträge im Zeit Magazin von starken Zweifeln am bisherigen lehrplanmäßig verordneten Gedenken geprägt. In den Aufsätzen der jungen Leute, aber auch in der skizzenhaften Auflistung von oftmals flapsigen Gesprächsfetzen unter Schülern in Gedenkstätten wird deutlich, daß die Jugend durchaus kein Desinteresse an der jüngeren deutschen Geschichte an den Tag legt. Es fehlt nur das Verständnis für die Erwartungshaltung der Lehrer, quasi auf Kommando Zerknirschung zu beweisen.
Gelassenheit statt Traumatisierung
Besonders hervorzuheben ist das gemeinsame Gespräch mit der Enkelin eines Holocaust-Überlebenden und dem Urenkel Bruno Sattlers. Hier offenbaren sich die Folgen des schulischen Betroffenheitsdrills: Während der Junge noch sehr mit seiner Familiengeschichte hadert, geht das Mädchen verständnisvoll mit der Materie um. Verständnisvoll und vor allem gelassen. Überhaupt scheint Gelassenheit die Grundvoraussetzung für eine gesunde Auseinandersetzung mit der Geschichte zu sein. Ansonsten könnte man so enden wie Frambach, der Protagonist in Iris Hanikas Das Eigentliche, der sich infolge seines Berufs (der „Vergangenheitsbewirtschaftung“) tagtäglich und intensiv mit dem Nationalsozialismus befaßt und irgendwann mitten in Berlin einen Nervenzusammenbruch erleidet. In irrem Wechsel lacht und weint er, während unablässig Vokabeln wie „Sonderkommando“ und „Stechschritt“ aus ihm heraussprudeln.
Was zu bewältigen wäre
Insgesamt ist also die Ausgabe des Zeit Magazin durchaus interessant – doch wie zu erwarten war, wird dort nicht anläßlich des Volkstrauertages nach den Gefühlen der Urenkelgeneration gegenüber gefallenen Angehörigen gefragt. Überhaupt ist der Charakter des Gedenktages als soldatischer Ehrentag inzwischen vollkommen vom Gedenken an die Kriegstoten insgesamt und natürlich die Verfolgungsopfer überlagert worden. Infolge des Geschichtsunterrichts, den sie selbst genießen durften, haben viele Deutsche massive Probleme damit, im Kriege gefallenen Angehörigen zu gedenken, und das ist eine Schande.
Letztlich ist die „Unfähigkeit zu trauern“, um die unselige Parole der Mitscherlichs einmal umzudrehen, aber nur ein Symptom des völlig gebrochenen Verhältnisses des deutschen Volkes zur Nation. Und der Geschichtsunterricht, der diesen „Verlust der Väterlichkeit“ zu bewältigen vermag, ist heute noch reine Zukunftsmusik.