Eine Machtdemo des Englischen wird der heutige „Eurovision Song Contest“. Anders als noch im vergangenen Jahr, als noch die Hälfte der Lieder in der jeweiligen Landessprache vorgetragen wurde, stehen heute nahezu ausschließlich englischsprachige Lieder auf dem Programm.
Das ist eine von den Veranstaltern sicherlich gewünschte Entwicklung, denn der Netzauftritt der Eurovision ist zum Beispiel ausschließlich auf englisch. Europas Zukunft soll nach dem Willen der Verantwortlichen also in der monotonen Einsprachigkeit liegen.
Selbstverständlich hat auch Deutschland – anders als die singenden Muttersprach-Mohikaner aus Frankreich und Spanien – auch diesmal nicht genug Mumm, ein deutschsprachiges Lied ins Rennen zu schicken. Im vergangenen Jahr hatte sich unser Land schon mit dem Lied „Miss Kiss Kiss Bang“, begleitet von der Entblätterungsdame Dita von Teese, geistig entblößt und europaweit blamiert. Heute dürfte die jugendliche Unbekümmertheit eines netten Mädels vom sprachlichen Elend ablenken.
Warum nicht auf deutsch singen?
Vor ein paar Jahren ging es hierzulande tatsächlich noch um die Frage, ob die Vertreter Deutschlands nicht besser auf deutsch singen sollten. Diese Zeiten sind vorbei. Solche Fragen kommen vielen weltfremd vor und werden höchstens noch von Alten und Ausländern gestellt.
Auf die Frage Andrew Lloyd Webbers bei „Wetten, daß …“ zum Beispiel, warum Lena Meyer-Landrut denn nicht auf deutsch sänge, konnten Fräulein Meyer und Stefan Raab nur stammelnd und schulterzuckend antworten. Solch eine Frage steht fernab der Welt, in der sie leben.
Selbst einige Leser der Deutschen Sprachwelt auf Facebook stürzte diese Frage in Verwirrung. Die Wahl der Sprache sei Ausdruck „künstlerischer Freiheit“, war zu lesen, und: „Ähem, dieser Song Contest hat mit Show zu tun, soll Leute unterhalten, Spaß machen und ist kein Sprachwettbewerb.“
„Unverständlich wie Westerwelle“
Doch, doch, es ist ein Sprachwettbewerb, nur eben kein Sprachenwettbewerb. Denn heute geht es eher um die Frage, wie gut das Englisch ist, mit dem sich die Wettbewerber vorstellen. Und da hat Fräulein Meyer schlechte Karten; zumindest wenn man Leuten glaubt, die Englisch als Muttersprache sprechen.
Der Times-Journalist Roger Boyes schreibt in der B.Z. an Fräulein Meyer: „Du bist ein nettes Mädchen aus Hannover, das ein komisches Englisch spricht – ein bißchen wie eine Figur aus einem Charles Dickens-Roman, ein bißchen wie ein australischer Schaf-Scherer und ein bißchen wie ein Ost-Londoner Drogendealer. Aus irgendeinem Grund denken Deine deutschen Fans, Du wärst beider Sprachen perfekt mächtig. Natürlich liegen sie falsch.“
Andernorts heißt es: „Ihr Sprachlehrer muß ein betrunkener Australier gewesen sein, der seine Kindheit in Hawaii verbracht und dann Pflegeeltern in Texas bekommen hat.“ Fräulein Meyer selbst gibt gegenüber dem Bonner Generalanzeiger an, sie habe dieses Englisch in der Gesamtschule gelernt: „Das ist einfach nur angelerntes Englisch von meinem Lehrer. Ich hatte erst ab der siebten Klasse Englisch, vorher zwei Jahre Französisch. Mein Englischlehrer hat so gesprochen, und das habe ich einfach übernommen. Ich dachte, es wird schon richtig sein, was er da macht.“ Immerhin behauptet Fräulein Meyer, „Ich bin gerne Deutsche“, doch will sie das anscheinend nicht in ihrem Gesang widerspiegeln.
Verhunztes Englisch als subversiver Sprachkampf?
Was werde die Folgen des mangelhaften Gesamtschul-Englischs sein? Der britische Journalist Mark Espiner klagt im Spiegel, daß sich Fräulein Meyer anhört „wie ein schwedischer Sprachtherapeut“, und er befürchtet: „Tausende, vielleicht Millionen von deutschen Schulkindern werden von nun an ihre Englischstunden bei Lena nehmen – für die englischsprachige Welt werden sie so ebenso unverständlich wie Guido Westerwelle.“
Bei der Sprachwelt auf Facebook hält eine Leserin dem entgegen: „Wieso sollte denn ausgerechnet von einem hannoverschen Mädchen oxford-englische Aussprache erwartet werden? Außerdem ist die Verhunzung der englischen Sprache eine der wenigen Möglichkeiten, subversiv gegen die Vorherrschaft des Englischen vorzugehen.“
So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Wir verhunzen und zerstören also die englische Sprache gründlich, damit wir getrost zu unserer eigenen zurückkehren können. Ein fieser Plan, etwa ausgeheckt von Fräulein Meyers Großvater? Der war immerhin Leiter des Bundespräsidialamtes unter Richard von Weizsäcker …
„Deutschland hat verkackt“
Das Schlußwort könnte ich einer anderen Facebook-Nutzerin überlassen, die bei der Sprachwelt kommentierte: „Der Grand Prix zeigt doch schon jahrelang den Stellenwert in der Welt. Deutschland hat nun mal verkackt!“
Ich überlasse das letzte Wort jedoch Fräulein Meyer selbst, die uns in ihrem Lied für Oslo mitteilt (wenn man es ins Deutsche übersetzt): „Liebster, mich hat’s ziemlich stark erwischt, hab’ das Beste für dich aufgehoben. Manchmal machst du mich zwar traurig, aber ich will es nicht anders haben.“ Ja, so ist das mit der Liebe vieler Deutscher zu dem, was sie für englisch und weltmännisch halten.