Knut heißt jetzt Lena. Nicht, daß unser neues Frolleinwunder wie ein Eisbärenbaby aussieht, aber knuffig ist sie schon. Die schalkhafte Art, mit der sie immer irgendwie die Lippen schürzt, ihr Tänzchen, das an ein vor dem verspiegelten Schlafzimmerkleiderschrank gefilmtes Youtube-Video erinnert.
Ihre ganze ungekünstelte Spontaneität haben sie über die peinlich-aufgesetzten Inszenierungen des üblichen „Song-Contest“-Kitsches triumphieren lassen – wobei der „Triumph“ eher ein locker-leichtes Vorbeihüpfen gewesen ist.
Sympathisch ist auch die Mischung aus kindlicher Freude und Ironie, mit der sie den ganzen Medienrummel bislang bewältigt hat; und sogar die Anbiederungen und Vereinnahmungsversuche von Politikern, die einen Strahl von Lenas Leuchten auf ihr trübes Erscheinungsbild umzuleiten hofften, charmant an sich abperlen ließ.
Eurokratisch instrumentalisiert
In einem merkwürdigen Kontrast zur Lässigkeit einer Abiturientin, die einen Musikwettbewerb gewonnen hat, stehen die zwanghaften Versuche, dem eigentlich belanglosen Ereignis einen politischen Sinn unterzuschieben.
Wurde zunächst der „Song Contest“ eifrig eurokratisch instrumentalisiert, um des EU-Kaisers neue Kleider angesichts der aktuellen Krisen etwas frischer flattern zu lassen, so sind sich die deutschen Medien nun darin einig, in der Neunzehnjährigen, als Alternative zu Tante Merkel, das „Gesicht des heutigen Deutschland“ zu erkennen.
Außerdem kann man wieder einmal eine neue Generation ausrufen, die „unverkrampft mit der deutschen Geschichte umgeht“, und das alles gleich noch mit der gesteigerten Hoffung auf einen Sieg bei der Fußball-WM verquicken, weil wir doch sowieso gerade so erfolgreich sind.
Mindestalter noch nicht erreicht
Politik, Pop und Eventkultur erleben mal wieder einen kräftigen Vermischungsschub. Könnte nicht Stefan Raab auch gleich für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren, da Lena das erforderliche Mindestalter noch nicht erreicht hat?
Bessere Chancen als ein anderer – freilich nicht gerade durch Humor glänzender – Liedermacher, der bei der letzten Wahl antrat, hätte der Klamaukbarde und Heros des Prekariatsfernsehens sicherlich; und wie man in den letzten Tagen sehen konnte, fehlt es auch nicht am dunklen Anzug.
In Online-Foren wird allerdings spekuliert, daß Roland Kochs Rücktritt entsprechend „abgekartet“ war, und wenn ich nun auch alles mit allem assoziiere, denke ich gleich an Margot Käßmann als Kochs Gegenkandidatin.
Projektionsfläche für jedermann
Doch zurück zu Lena: Sie ist lustig und frech, ohne anzuecken, dabei bodenständig und sogar ein bißchen wertkonservativ (schließlich hat sie die Lilie der christlichen Pfadfinder auf ihren Arm tätowiert und trägt einen Anhänger der Taizé-Besucher mit Kreuz und Taube um den Hals); in der Glitzerwelt von Schein und Schwulst erscheint sie als nettes Mädel von nebenan, das eher zufällig dort hineingeraten ist, und kann als Projektionsfläche für jedermann dienen:
Für das von Abstiegs-, Inflations-, Steuer-, Arbeitslosigkeits- und sonstiger Angst gebeutelte Fernsehmillionenpublikum verkörpert sie die Erfüllung des Mädchen- und Märchentraumes, über Nacht reich und berühmt zu werden; für die politische „Elite“ ist sie aufgrund ihrer Neutralität oder Unbeschriebenheit – mehr als damals Nicole mit ihrem friedensbewegten Siegertitel – ohne jede Polarisierung anschlußfähig.
Und die Medien müssen nicht bekritteln, daß sie sich neckisch in die Deutschlandfahne wickelt, sondern können sie aufgrund ihrer völlig ahistorischen „Harmlosigkeit“ als Repräsentantin eines jungen, modernen Deutschlands feiern, das in ganz Europa beliebt ist.
Historischer Ballast
Dabei verrät die Punktvergabe der Teilnehmerländer einige abweichende Details, die man – zugegebenermaßen etwas schelmisch – hervorheben kann: Der deutsche Beitrag siegte vor allem in Nordeuropa (bei den „germanischen Brudervölkern“?), die Ost- und Südosteuropäer schoben die höchsten Punktzahlen stets ihren Nachbarn zu („Panslawismus“?).
Von den Griechen bekamen wir trotz aller von uns bezahlten Rettungsschirme kümmerliche zwei Punkte, und in Israel konnte selbst „lovely Lena“ keinen Blumentopf gewinnen (trotz israelischer Interessen als „Teil der deutschen Staatsräson“). Irgendein historischer Ballast stört jede pseudopolitische Kuschelparty, aber gefreut haben wir uns trotzdem!