Neulich habe ich auf einem Supermarkt-Parkplatz eine alte Frau gesehen, die mit ihrem Wagen feststeckte. Sie war mit Karacho in die Parklücke gefahren. So schnell, daß ihr Wagen über eine Beton-Kante gerutscht ist. Ihre beiden Vorderreifen standen jetzt im dahinterliegenden Kiesbett. Beim Versuch mit voller Kraft wieder herauszufahren, drehten sich jetzt ihre Räder immer weiter in den Kies, so daß die arme, aufgelöste Frau festsaß.
Die Frau hat sich erst in eine dumme Situation gebracht und dann alles noch verschlimmert, als sie versucht hat, sich zu befreien. So ein bißchen geht es jetzt auch Stanislaw Tillich (CDU). Der Grund: Es sind schon wieder bislang unbekannte Fakten über die Vergangenheit des sächsischen Ministerpräsidenten aufgetaucht.
Tillich soll als Angehöriger der Kreisverwaltung von Kamenz noch nach dem Mauerfall an kommunistischen Willkürakten mitgewirkt haben. Es geht dabei um zwei Immobilien von Westdeutschen, die kurz vor dem Ende der DDR noch „in Volkseigentum überführt“ (DDR-Jargon), also enteignet, wurden.
Fehlende Seiten im Archiv
Der damals 30jährige Tillich hatte gerade die ersten Stufen der Karriereleiter erklommen, gehörte als CDU-Blockflöte der Kreisverwaltung an. Insofern war er an den Enteignungen beteiligt – und sei es nur durch das Abnicken einer SED-Entscheidung. Beweise für eine individuelle Verstrickung Tillichs in den besagten Fall gibt es nicht. Oder genauer: nicht mehr. Und das macht den Fall so interessant.
Denn die Welt online, die den ganzen Skandal recherchiert hat, berichtet, daß die Akten im Kreisarchiv leider nicht mehr vollständig sind. Wichtige Seiten fehlen, die Auskunft über die damaligen Vorgänge geben könnten. Vor der Recherche der Zeitung sei ein Mitarbeiter der Staatskanzlei im Archiv des Landkreises gewesen, will die Welt online ermittelt haben. Die Staatskanzlei sei überdies sofort über die Recherche der Zeitung informiert worden.
Das scheint der eigentliche Skandal zu sein: daß Unterlagen aus öffentlich zugänglichen Archiven einfach kassiert werden, weil sie vielleicht den Regierungschef belasten. Diskretion hat immer Gründe. Tillich war vielleicht doch stärker verstrickt als heute bekannt. Soviel wissen wir bereits: Er war der Prototyp eines angepaßten Blockparteienfunktionärs. Er kam aus einem SED-Elternhaus. Seinen Wehrdienst hat er bei den Grenztruppen absolviert. Und seine spätere Erklärung, er sei der CDU beigetreten, um vor der SED „seine Ruhe zu haben“, wirkt unglaubwürdig, da er ja Karriere als Lokalpolitiker gemacht hat – und das ging nur mit der SED.
Offizielle Biographie geändert
Die Welt online berichtet, daß schon einmal seine Biographie auf der Internetseite des Ministerpräsidenten geändert werden mußte. Im Herbst ist Landtagswahl, und die CDU befindet sich nach dem Skandal um die Landesbank sowieso in einer schwierigen Situation. Bei der Europawahl gab es nur noch 35 Prozent für die einst erfolgsverwöhnte Union.
Die alte Frau auf dem Parkplatz hat ihren Wagen wieder freigekriegt. Aber nur dank der Unterstützung durch mehrere Angestellte des Supermarktes – und ein bißchen auch mit meiner Hilfe. Ich weiß nicht, wen Stanislaw Tillich mobilisieren will, um ihm zu helfen. Er könnte bald sehr einsam sein.