Englischkurse für Nazis … – Tut sich da etwa ein neues Geschäftsfeld für private Bildungsträger auf? Um der Strafverfolgung zu entgehen, müssen Möchtegernnazis künftig Englisch lernen und sprechen. So könnte man ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 13. August zusammenfassen.
Der BGH hob eine Geldstrafe über 4.200 Euro auf, die das Landgericht Gera wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ (Paragraph 86a Strafgesetzbuch) verhängt hatte. Laut BGH sind jedoch diese Kennzeichen aus der Zeit des Nationalsozialismus nur in deutscher Sprache strafbar.
Ein Bürger war verurteilt worden, weil er im September 2005 einhundert Leibchen mit der Aufschrift „Blood & Honour“ (auf deutsch: „Blut und Ehre“) bei sich führte. Das ist der Name eines Zusammenschlusses, den das Bundesinnenministerium im September 2000 als rechtsextremistisch verbot.
Mit der deutschen Fassung „Blut und Ehre“ begrüßten einander in den 1930er Jahren zudem fast alle deutschen Jugendlichen, weil sie der Hitlerjugend (HJ) angehörten. Der Alliierte Kontrollrat verbot die HJ bereits 55 Jahre vor der Auflösung von „Blood & Honour“.
Das Landgericht Gera schlamperte und urteilte nach dem falschen Paragraphen. Passend wäre eine Verurteilung wegen des „Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ (Paragraph 86 Strafgesetzbuch) gewesen. Schließlich ist die Gruppe „Blood & Honour“ verboten. Statt dessen nahm das Landgericht eine Übersetzung des HJ-Spruches „Blut und Ehre“ ins Englische an.
Verdächtige Wörter
Das Wort „Blut“ ist ohnehin verdächtig, weil es auf das in Deutschland hergebrachte Abstammungsprinzip (ius sanguinis) erinnert. Im Jahr 2000 ist es an das angelsächsische Geburtsortsprinzip (ius soli) angepaßt worden. Das Wort „Ehre“ ist verpönt, weil sie eher als „Sekundärtugend“ gilt. Daher spricht man in der Bundesrepublik häufiger von „Würde“ als von „Ehre“.
Daß es vor siebzig Jahren auch noch eine Verbindung der beiden Wörter „Blut und Ehre“ als HJ-Parole gab, daran erinnern die Zentralen für politische Bildung. Nach Paragraph 86a ist es nämlich strafbar, diese Losung zu verwenden.
Mich beschäftigt die Frage, warum die deutsche Sprache bedenklicher als die englische sein soll. Der Bundesgerichtshof schreibt: „Durch die Übersetzung in eine andere Sprache erfährt eine NS-Parole, die nicht nur durch ihren Sinngehalt[,] sondern ebenso durch die deutsche Sprache ihre charakteristische Prägung erfahren hat, jedoch eine grundlegende Verfremdung“.
Ich übersetze einmal dieses schlechte Amtsdeutsch: „Wer eine von der deutschen Sprache charakteristisch geprägte NS-Parole ins Englische übersetzt, verfremdet sie grundlegend.“ Vielleicht hat das Gericht dabei an SAT.1 gedacht. Der frühere englischsprachige Werbespruch des Fernsehsenders – „Powered by emotion“ – war von vielen Zuschauern als „Kraft durch Freude“ verstanden worden, wie eine Endmark-Umfrage gezeigt hatte.
Das BGH-Urteil ist gut und schlecht
Doch im Ernst: Wir befinden uns in der widerwärtigen Lage, daß unsere Jugend gezwungen ist, mit Hilfe der Bildungszentralen nationalsozialistische Leitsprüche auswendig zu lernen, damit sie diese nicht aus Versehen verwendet. Damit prägen sich die Sprüche stärker in das gemeinschaftliche Bewußtsein ein, als wenn sie nicht verboten wären. Außerdem herrscht ständig die Unsicherheit, welche Wörter man in welcher Wortfolge verwenden darf und welche nicht.
Das BGH-Urteil hat somit eine schlechte und eine gute Seite. Auf der einen Seite brandmarkt es Deutsch als Nazisprache, in der man jedes Wort auf die Goldwaage legen muß, während Englisch als freie Sprache dasteht, die bedenkenlos verwendet werden darf. Das leistet der gegenwärtigen Flucht aus dem Deutschen ins Englische Vorschub. Denn mit Englisch setzt man sich nicht der Gefahr aus, aus Versehen das Falsche zu sagen.
Auf der anderen Seite setzt das Urteil der Tabuisierung von Wörtern Grenzen. Bereits im Jahr 2005 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, daß die Wortverbindung „Ruhm und Ehre“ nicht strafbar sei, auch wenn sie den verbotenen Sprüchen „Blut und Ehre“ (HJ) und „Meine Ehre heißt Treue“ (SS) ähnle.
Diesem Geist folgend wäre es schön, das Verbot von Wörtern und Wortfolgen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Denn ein Wortverbot kann niemals die geistige Auseinandersetzung ersetzen. Insofern ist dem Strafsenatsvorsitzenden Jörg Peter Becker zuzustimmen, der bei der Urteilsverkündung erklärte, daß es das Strafrecht allein nicht schaffen könne, NS-Gedankengut aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.