Am vergangenen Wochenende feierte der mexikanische „Calaca“-Verein in Berlin-Mitte die „Dias de los Muertos“ (Tage der Toten). Keine Dokumentation über Mexiko läßt sich dieses aztekische Totenfest entgehen, das in seiner ausgelassenen Stimmung dem christlichen Totensonntag oder Allerseelen so diametral entgegen scheint. Mag es hier in einem gemieteten Altbau und nicht auf freiem Dorfplatz stattfinden – seiner Intensität tut das kaum Abbruch.
Blickfang beim Eintritt ist ein riesiger Altar, vom Boden bis zur Decke. Mit gelben und roten Blumen, echt und aus Papier, ist er feurig-farbig geschmückt. Viele flackernde Kerzen geben ihm Lebendigkeit. Und zwischendrin: Skelettfiguren – die lachen, fliegen und winken den Lebenden zu.
Von der Decke hängen bunte Scherenschnitte und aztekische Motive auf großen Bildern an der Wand. Mit einer gewaltigen Weihrauchschale segnet der Priester die Kerzen der Besucher, die sie stellen sie dann auf den Altar, vor die Fotos ihrer Verstorbenen. Unter den Opfergaben: Riesige Schalen voller Früchte, Flaschen mit Whisky oder Tequila.
Wellness-Terroristen müssen draußen bleiben
Natürlich auch Zigaretten, einzeln sowie päckchenweise. Und Totenschädel aus sündhaft süßem Zuckerguß. Die Toten dürfen das Leben genießen. Wellness-Terroristen müssen leider draußen bleiben, – müssen (leider) im Diesseits bleiben.
Aber neben Süßigkeiten wie Hanuta oder Mars finden sich auch Überraschungseier, Kinderschokolade, ein ganzer Korb voll. Man ahnt Schlimmes. Ein Stück entfernt steht das Foto eines Neugeborenen…Für das Sterben ist niemand zu jung. Mögen Metaphysiker oder Natur-Apologeten sich das rechtfertigen. Überzeugen tun deren Argumente nie.
Obwohl hier eine Farbenpracht ohnegleichen herrscht und die Musik keineswegs melancholisch daherkommt, überfällt einen die Traurigkeit. Ein Übermaß an Lebendigem macht den Tod ebenso präsent wie westliche Trauerrituale.
Nachdem die Geister der Verstorbenen gerufen wurden, beginnt das Fest. Essen und Trinken wird verkauft. Scharf Gewürztes, Hochprozentiges oder Süßes wie das „Pan de Muertos“, das Totenbrot.
Während solcher Feiern könnte man tatsächlich sterben
Zwar kriegt der Tod sakrale Weihe, wird zum Santo Muerto – dem heiligen Tod – erhoben, aber mit maximaler Respektlosigkeit gefeiert. Bald stürmen Tänzer herein, männlich wie weiblich. Verkleidet als Skelette, als Personifizierung des Todes. Der männliche Tod raucht Zigarre, trinkt massig Tequila, der weibliche Tod – in der Tradition liebevoll „Catrina“ genannt – kokettiert mit seinen sexy Knochen.
Begleitet von einem singenden Mariachi-Spieler und Geigenstreichenden Mädchen – mit weißem Kleidern und Blumen im Haar. Tanz, Schönheit, Katharis durch makaberen Scherz, Rausch durch Zucker und Alkohol: Während solcher Feiern könnte man tatsächlich sterben. Herzinfarkt und weg. Diese Vorstellung macht überhaupt keine Angst mehr – so sehr durchdringen sich hier Tod und Leben.
Nach Verlassen der Feier sieht man auf dunklem Heimweg zahlreiche Werbeplakate. Darauf versprechen Zombies keimfreie Vitalität. Langsam kommt sie wieder, die Angst vor dem Tod – und vor dem Leben.